Es gibt Fehler aus der Corona-Pandemie, die muss man gar nicht groß aufarbeiten, weil sie so offensichtlich sind. Dazu gehört die Verengung des Meinungskorridors und die Ausgrenzung von Kritikern der Coronapolitik. Zwar gab es schon zu Beginn der Pandemie selbst ernannte Querdenker, die leugneten, dass es überhaupt eine Pandemie gab. Doch sie waren nicht das Problem. In jeder Gesellschaft gibt es einen Narrensaum, den man aushalten muss.
Das Problem war, dass sehr schnell auch seriöse Zweifel am Nutzen bestimmter Pandemie-Massnahmen ins Querdenker-Lager abgedrängt wurden. Wissenschaftler, die bis dato angesehen waren, wurden verächtlich gemacht, weil sie nicht jede Massnahme als „alternativlos“ hinnehmen wollten. Exemplarisch für diesen Extremismus, angeblich im Namen der Wissenschaft, war ein SPIEGEL-Interview , in dem die skeptischen Virologen Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck als schlimmer als die Corona-Leugner bezeichnet wurden.
Ausgerechnet jene Medien, die zuvor auf ihre liberale Tradition stolz waren, haben sich zum Lautsprecher pseudowissenschaftlicher Pandemie-Bekämpfungsstrategien wie „Zero Covid“ gemacht, Motto: Je härter der Lockdown, desto besser. Auch Politik und Wissenschaft haben in dieser Zeit enormes Vertrauen verspielt. Sie haben die Spaltung der Gesellschaft befördert, weil sie jene, die zurecht auf die fehlende Evidenzbasiertheit vieler Entscheidungen hinwiesen, immer mehr in die Ecke der Verschwörungstheroretiker drängten.
Und heute? Hat man aus dieser Zeit wirklich etwas gelernt? Nein. Mit Blick auf Israels Krieg in Gaza muss man sogar sagen: Wir laufen Gefahr, die gleichen Fehler zu machen wie während der Pandemie. . Wieder wird in vielen Debatten und Medienbeiträgen aggressiv eine Stromlinienförmigkeit eingefordert. Ja, es gibt heute einen massiven und wachsenden Antisemitismus in Deutschland, ähnlich wie es auch in der Pandemie echte Verschwörungstheoretiker gab. Jüdische Schülerinnen und Schüler werden auf dem Schulweg angegriffen, jüdische Studenten haben Angst, in die Uni zu gehen, es gibt antisemitische Anschläge und Schmierereien. Das alles ist schrecklich für die Betroffenen und es ist peinlich für ein Land, das gern behauptet, man habe aus der Geschichte gelernt.
Doch es gibt neben tatsächlichem Antisemitismus, auch den Versuch, jegliche Kritik am Kriegskurs der israelischen Regierung als antisemitisch zu delegitimieren. Dass Netanyahu selbst den Antisemitismus-Vorwurf großzügig einsetzt, um Kritiker zum Schweigen bringen - ist geschenkt. Doch erstaunlich ist, wie viele seiner Antisemitismus-Definition dabei auf den Leim gehen. So wurde etwa der Holocaust-Historiker Michael Wildt von der Humboldt Uni Berlin in Deutschlands größter Boulevardzeitung des Antisemitismus bezichtigt, weil er den Polizei-Einsatz gegen ein propalästinensisches Protestcamp auf dem Uni-Gelände kritisiert hatte. Selbst die jüdische Schriftstellerin Masha Gessen wurde mit Antisemitismus-Vorwürfen überzogen und konnte den Hannah-Arendt-Preis nicht wie geplant in Bremen entgegen nehmen, nachdem sie Israels Krieg in Gaza kritisiert hatte. Ausländische Professoren, Intellektuelle und Künstler beklagen immer wieder die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland, die derzeit durch eine Überdehnung des Antisemitismus-Begriffs stattfinde.
Dass die „Bild“-Zeitung sich zum Schutzschild der in Teilen rechtsradikalen israelischen Regierung macht, verwundert weniger, als dass Politiker der Bundesregierung bis hin zum Kanzler keinen Mut finden, die offenkundigen Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza klar zu benennen. Dabei wäre dies auch ein wichtiges Signal an die liberale und bürgerliche Opposition in Israel, die zu Hunderttausenden gegen Netanyahu demonstriert hat.
Gut gemeint ist eben häufig das Gegenteil von gut. Mindestens das, sollten wir aus der Corona-Pandemie gelernt haben.