Ermittlungen gegen Spahn-Vertrauten

Der Beamte hatte sich extra noch abgesichert. Am Abend des 21. April 2020 schrieb er eine E-Mail an Gesundheitsminister Jens Spahn: "Sehr geehrter Herr Minister, wir haben mit der Firma Emix sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich bitte um Zustimmung, 100 Mio. FFP2-Masken anzukaufen." Um 20.52 Uhr antwortete Jens Spahn von seinem iPad aus mit nur einem Wort: "Einverstanden". 

Damit genehmigte Spahn eine Bestellung über 540 Millionen Euro. Das Gesundheitsministerium kaufte damals Masken zum Stückpreis von 5,40 Euro beim Schweizer Händler Emix. Bereits drei Wochen zuvor hatte der Beamte unter anderem 32 Millionen Masken zum Stückpreis von 5,95 Euro bei Emix gekauft. Allein diese beiden Bestellungen bei Emix sollten die Steuerzahler rund 790 Millionen Euro kosten. Keine Ermittlungen gegen Spahn Diese beiden Deals hat die Staatsanwaltschaft Berlin nun im Visier, wenn sie gegen den Beamten ermittelt, der seit Jahren zu den Führungskräften im Bundesgesundheitsministerium gehört und auch unter Minister Karl Lauterbach in gleicher Funktion einen Top-Posten im Ministerium innehat. Gegen Spahn selbst wird in der Sache nicht ermittelt.

Gegen Ungereimtheiten bei der Maskenbestellung ermittelt die Staatsanwaltschaft auch wegen Bestechungsverdacht.

Für Emix war die Pandemie ein großes Geschäft. Die zuvor eher kleine Handelsfirma soll mit ihren Lieferungen von Corona-Schutzausrüstung an deutsche Ministerien insgesamt 300 Millionen Euro Gewinn gemacht haben, wie die Staatsanwaltschaft München schätzt, die in der Maskenaffäre ebenfalls ermittelt. Emix bestreitet dies. Angaben der Firma lassen jedoch zumindest auf einen Profit von bis zu 200 Millionen Euro schließen. Der Kontakt von Emix zum damaligen Gesundheitsminister Spahn kam über die Vermittlung von Monika Hohlmeier, der Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU) zustande. Hohlmeier wiederum wurde von Andrea Tandler, Inhaberin einer PR-Agentur und Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Georg Tandler, um die Kontaktanbahnung gebeten. Tandler soll dafür zusammen mit ihrem Partner Darius N. insgesamt 48 Millionen Euro Provisionen von Emix erhalten haben. Der Betrag war wegen der hohen Preise so üppig ausgefallen. In großem Stil Steuergeld verschwendet? Andrea Tandler und Darius N. weisen über Anwälte alle Vorwürfe entschieden zurück. Hohlmeier hat stets betont, dass sie nie Geld für die Vermittlung erhalten habe. Darauf gibt es auch keine Hinweise. Der Beamte, so der Verdacht der Berliner Ermittler, könnte mit den beiden Bestellungen in großem Stil Steuergeld verschwendet haben. Schon im vergangenen Jahr kritisierte der Bundesrechnungshof die Bestellpraxis des Gesundheitsministerium bei Emix, denn das Spahn-Ministerium hatte zum Zeitpunkt der Bestellung bei Emix schon wesentlich günstigere Angebote für FFP2-Masken.  So startete der Bund am 27. März 2020 ein so genanntes Open-House-Verfahren, bei dem jeder Händler FFP2-Masken zum festen Preis von 4,50 Euro pro Stück ans Ministerium liefern konnte. Bereits vier Tage nach Beginn der Ausschreibung waren mehrere hundert Angebote von Händlern eingegangen. Am 8. April wurde die Ausschreibung vorzeitig beendet. Zu diesen Zeitpunkt hatte das Gesundheitsministerium bereits Zusagen für die Lieferung von mehr als einer Milliarde FFP2-Masken. Warum also, fragen sich die Ermittler nun, sollten Spahn und sein Beamter danach noch Corona-Masken zu weit höheren Preisen bei Emix kaufen? Beamter macht Notlage geltend Der Beamte hat seine Sicht schon früher gegenüber den Ermittlern in München dargelegt: Seiner Ansicht nach war alles in Ordnung. Das Ministerium habe in der damaligen Notlage, als es beim Kampf gegen das Virus in Altenheimen und Kliniken um Leben und Tod ging, nicht anders handeln können. Spahn selbst hat zuletzt in seinem Buch "Wir werden einander viel verzeihen müssen" zu den Maskendeals Stellung genommen. Er räumte zwar ein, dass die Margen vieler Zwischenhändler "unverschämt hoch" waren und viele in der Not ein gutes Geschäft gemacht hätten. Schließlich aber sehe er es so wie NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU): "Wer nach der Krise nicht den Landesrechnungshof am Arsch hat, der hat alles verkehrt gemacht."  Die Ermittler dürften sich mit dieser Erklärung vermutlich nicht zufrieden geben. Bei den Emix-Deals mit dem Bundesgesundheitsministerium glaubt die Staatsanwaltschaft Berlin, genug Gründe zu haben, um jetzt auch gegen den leitenden Beamten im Gesundheitsministerium zu ermitteln - vor allem wegen des Vertrags über 540 Millionen Euro vom 23. April 2020. Da war die Notlage bei den Masken längst nicht mehr so groß gewesen wie in den Wochen zuvor, kurz nach Beginn der Pandemie. Zum Verhängnis werden könnte dem Beamten unter anderem ein Corona-Lagebericht des bayerischen Gesundheitsministeriums vom 9. April 2020.

"Damit muss wieder mehr auf Qualität und Preis geachtet werden" In diesem Lagebericht heißt es: "Preise für PSA fallen derzeit, da das Marktgeschehen wieder in Gang kommt." PSA steht für "Persönliche Schutzausrüstung", und dazu zählen insbesondere auch FFP2-Masken. Die Schlussfolgerung von Bayerns Gesundheitsministerium an jenem 9. April 2020 lautete: "Damit muss wieder mehr auf Qualität und Preis geachtet werden." Nichtsdestotrotz hat das Bundesgesundheitsministerium zwei Wochen später bei Emix 100 Millionen Masken für 540 Millionen Euro geordert. Die jetzt bekannt gewordene Ausweitung des Ermittlungsverfahrens hat eine grundsätzliche Bedeutung. Erstmals untersucht eine Staatsanwaltschaft in einem großen Corona-Fall, wie weit der Staat in einer großen Krise seine Kasse öffnen darf. Wo endet die staatliche Abwehr einer Notlage, und wo beginnt eine gesetzeswidrige Steuergeldverschwendung, bei der Behörden und Ministerien das Geld der Bürgerinnen und Bürgern Geschäftemachern gewissermaßen hinterherwerfen oder zu leichtfertig ausgeben?