Korruptionsverdacht bei Emix-Deal

Jens Spahn will Geschichte schreiben. Der vormalige Bundesgesundheitsminister hat angekündigt, seine Version vom Verlauf der Pandemie als Buch zu veröffentlichen, unter dem Titel: "Wir werden einander viel verzeihen müssen." Der Spruch ist nicht neu. Das hat der CDU-Vorstand Kritikern der staatlichen Corona-Politik schon früher entgegnet.

Ob Spahn auch selbst um Verzeihung bittet? Anlass dazu gäbe es schon, vor allem bei einem sehr merkwürdigen Masken-Deal in Höhe von 540 Millionen Euro. Dieses Geschäft vom Frühjahr 2020 wäre ohnehin ein eigenes Kapitel in dem geplanten Buch wert, mit allen Details, die bislang noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Doch so ist Spahns Geschichtsschreibung wohl nicht zu verstehen.

Für 540 Millionen Euro hat das damals noch von dem CDU-Politiker geleitete Bundesgesundheitsministerium am 24. April 2020 einen Vertrag mit der Schweizer Handelsfirma Emix über den Kauf von 100 Millionen Corona-Schutzmasken des Standards FFP2 abgeschlossen. Dabei hätte es des teuren Maskendeals mit Emix nach Spahns eigenen Worten wenige Tage vorher eigentlich gar nicht mehr bedurft, wie Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR zeigen. Bei diesem Vertrag gibt es so viele Ungereimtheiten, dass die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Schmiergeldverdacht ermittelt.

Die größte Ungereimtheit: Am 22. April 2020, zwei Tage vor dem Maskendeal mit Emix, hatte Minister Spahn im Gesundheitsausschuss des Bundestags die damalige Corona-Lage geschildert; auch bei den Masken. Bei der Sitzung im SPD-Fraktionssaal 3 S001 im Reichstagsgebäude unterrichtete der Minister das Parlament über die erwartete Lieferung von 100 Millionen FFP2-Masken zum Preis von 4,50 Euro. Damit wäre das Gesundheitswesen in Deutschland "in den nächsten Monaten gut versorgt". So steht es im Sitzungsprotokoll, das "nur zur dienstlichen Verwendung" gedacht ist.

Warum bestellt Spahns Ministerium dann zwei Tage später weitere 100 Millionen Masken, die noch dazu teurer sind, bei Emix? Dem heute vom SPD-Politiker Karl Lauterbach geleiteten Gesundheitsressort fällt dazu nichts anderes ein, als auf eine Stellungnahme des Ministeriums für den Bundestag vom März 2021 zu den insgesamt vier Geschäften mit Emix zu verweisen. Damals war Spahn noch im Amt, und sein Haus hatte somit allen Grund, die Emix-Deals zu verteidigen. Und Spahns Äußerung vom 22. April 2020 im Gesundheitsausschuss kam in dieser Stellungnahme vom März 2021 überhaupt nicht vor.

Unter Lauterbach hat sich an der Linie des Ministeriums nichts geändert, wenn es um die Emix-Deals geht, die über einen CSU-Kanal zustande gekommen waren. Und die einige Leute sehr schnell sehr reich gemacht haben. Die größten Profiteure sind Andrea Tandler, Tochter des einstigen CSU-Generalsekretärs und Ministers Gerold Tandler, sowie Jascha Rudolphi und Luca Steffen, Inhaber der Schweizer Handelsfirma Emix. Und ein Partner von Andrea Tandler, ein gewisser Darius N.

Diese vier sind längst Multimillionäre, nachdem Emix auf Vermittlung von Andrea Tandler dem deutschen Gesundheitsministerium Masken und andere Corona-Schutzkleidung für insgesamt gut 700 Millionen Euro verkauft hat. Emix, Tandler und deren Partner N. profitierten von der Not vor allem der Arztpraxen, Kliniken, Alten- und Pflegeheime, die dringend Schutzmasken gegen das mitunter tödliche Virus brauchten. Aber waren dazu unbedingt noch die teuren Emix-Masken nötig gewesen?

Das damals von Spahn und heute von Lauterbach geleitete Gesundheitsministerium weicht aus und kann Widersprüche oder gar Ungereimtheiten nicht erklären, wenn es um Emix geht. Im März 2020, als die Masken-Not in der Tat noch groß gewesen war, hatte das Ministerium drei Verträge mit Emix über den Kauf von Corona-Schutzkleidung zum Preis von insgesamt knapp 427 Millionen Euro abgeschlossen. Das leuchtet den Staatsanwaltschaften in Berlin wie in München, hier wird wegen Geldwäscheverdacht ebenfalls ermittelt, ja noch halbwegs ein.

Doch dann kam der 540-Millionen-Deal vom 24. April 2020, als die Lage schon eine ganz andere war. Denn knapp drei Wochen vorher, am 4. April 2020, hatte Spahns Ministerium dem Bundestag von einem großen Erfolg in China berichtet, wo Masken in riesigen Mengen produziert werden. Die Beschaffung "vor Ort" in China zeige kurzfristig Wirkung und erlaube "den Zugriff auf sehr große Kapazitäten der etwa 1000 Hersteller", die in der Lage seien, "normgerechte Ware" zu produzieren.

Nach einem Gespräch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem chinesischen Staatspräsidenten Xi habe ein "direkter Zugang zu einem staatlichen Produzenten (Moheco) hergestellt werden" können. Moheco verspreche "ein höheres Maß an Qualität und Liefersicherheit", ließ das Gesundheitsministerium den Bundestag am 4. April 2020 wissen. Kurz darauf folgte die nächste Erfolgsmeldung, bei einem Verfahren namens Open House, also offenes Haus.

Um die dringend benötigten Masken zu beschaffen, hatte das Gesundheitsministerium im März 2020 angeboten, alles zu nehmen, was zum Preis von 4,50 Euro pro Stück geliefert werden könnte und in Ordnung sei. Daraufhin kamen so viele Angebote, dass das Ministerium das Projekt Open House am 8. April 2020 vorzeitig stoppte. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits feste Lieferzusagen über 1,05 Milliarden FFP2-Masken für insgesamt 4,7 Milliarden Euro vor. Ob das alles klappen würde, war damals noch nicht abzusehen, aber es gab eine Frist: den 30. April 2020. Wer bis dahin nicht geliefert hatte, bekam auch kein Geld.

Warum also haben Spahn und sein Ministerium nicht wenigstens den 30. April abgewartet, anstatt nur sechs Tage vorher, am 24. April, den sehr teuren Emix-Deal über 100 Millionen FFP2-Masken für 540 Millionen Euro zu unterzeichnen? Das Ministerium beantwortet auch diese Frage nicht konkret, sondern verweist hier ebenfalls auf die Stellungnahme zu den Emix-Deals vom März 2021 für den Bundestag. Doch da kommt das Thema Open House gar nicht vor. Stattdessen heißt es: Zum Zeitpunkt des letzten Vertragsschlusses mit Emix habe das Ministerium nur über 20 Millionen "auslieferungsfähige" Masken des betreffenden Standards verfügt.

Spahn und sein Ministerium hatten vorher aber anstehende Lieferungen bereits als Erfolg verkündet. Merkwürdig auch: Der letzte Vertrag mit dem Unternehmen auf Basis eines Emix-Angebots vom 17. April 2020 soll laut Ministerium nach "intensiven Verhandlungen" an jenem 24. April 2020 zustande gekommen sein. Nach Angaben von Insidern soll es aber zu diesem Vertrag im Gesundheitsministerium kaum Unterlagen geben. Das Ministerium teilt dazu auf Anfrage mit, man gebe keine Auskunft zu internen Prozessen.

Eines zumindest wird bestätigt: Dass Spahn selbst den 540-Millionen-Vertrag mit Emix genehmigt hatte. Nach Informationen von SZ, NDR und WDR hatte Spahn am 21. April 2020 in einer internen Mail diesen Deal mit einem einzigen Wort abgesegnet: "Einverstanden." Kürzer geht es kaum.

Doch kaum war der Vertrag vereinbart worden, da gab es auch schon jede Menge Ärger. Das belegen SMS-Chats zwischen Andrea Tandler, der CSU-Politikerin Monika Hohlmeier und Jens Spahn. Die Tandler-Tochter war über die Europaabgeordnete Hohlmeier, Tochter von Franz Josef Strauß, und Jens Spahn ins Bundesgesundheitsministerium gelangt und hatte dort die Emix-Deals vermittelt.

Am 12. Mai 2020 wandte sich Andrea Tandler erneut an Monika Hohlmeier und beklagte sich bitterlich, dass Emix vom Bundesgesundheitsministerium und dessen Anwälten schlecht behandelt werde. Lieferungen würden nicht mehr angenommen, der Vertrag solle von heute auf morgen beendet werden. Hohlmeier reichte die Beschwerde an Spahn weiter. Versehen mit dem Hinweis, es heiße, der kürzlich abgeschlossene Vertrag solle einfach storniert werden.

Spahn antwortete Hohlmeier am 13. Mai 2020, es werde seinerseits keine politische Einflussnahme geben. Was Hohlmeier einer weiteren SMS zufolge auch gar nicht vorhatte, sie wollte nur einen fairen Umgang mit Emix (Hohlmeier hat nach eigenen Angaben und auch nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden für ihre Kontaktvermittlung kein Geld gefordert und auch nichts bekommen). Fünf Tage später, am 18. Mai 2020, vereinbarten die vom Ministerium eingeschalteten Anwälte und Emix eine Verringerung der ursprünglich vereinbarten Lieferungen zum Preis von insgesamt fast 967 Millionen Euro um mehr als 250 Millionen Euro. Diese Reduzierung geht aus der Stellungnahme des Ministeriums vom März 2021 für den Bundestag hervor.

Was zu der nächsten Frage führt: Hatten die Verantwortlichen im Ministerium wegen des merkwürdigen 540-Millionen-Deals kalte Füße bekommen und wollten wieder aussteigen? Auch das ist, wie vieles andere, noch im Dunkeln. Emix und die Anwälte des Ministeriums sollen an jenem 18. Mai 2020 stundenlang gefeilscht haben. Das Ministerium gibt keine Auskunft, was da genau geschehen ist. Aus Sicht des Gesundheitsressorts ist bis heute alles in bester Ordnung.

Dem Ministerium liegen nach dessen Angaben auch keine Hinweise darauf vor, dass jemand im eigenen Hause für den 540-Millionen-Deal geschmiert werden sollte. Die Berliner Staatsanwaltschaft hegt jedoch den Verdacht der Bestechung wegen der vielen merkwürdigen Umstände bei diesem Deal. Der Verdacht geht so: Andrea Tandler und ihr Partner N. hatten von der Schweizer Handelsfirma Emix für deren Geschäfte mit deutschen Abnehmern Vermittlungsprovisionen in Höhe von 48 Millionen Euro kassiert.

Den von Ermittlungsbehörden abgehörten Gesprächen zufolge sagte N. später zu Tandler, man sei zu dritt im Boot. Außerdem stellte N. Berechnungen an, denen zufolge bei ihm und Tandler deutlich weniger als die 48 Millionen Euro verblieben wären. So steht es in den Ermittlungsakten. Das Problem für die Staatsanwaltschaften in Berlin und München: Die 48 Millionen Euro liegen, abzüglich Steuern, bei N. und Tandler. Abgeflossen an einen Dritten ist bislang nichts. Und jetzt würde sich natürlich auch niemand mehr melden.

Tandler und ihr Partner N., gegen die in Berlin wegen des Verdachts der Bestechung und in München wegen Geldwäscheverdacht ermittelt wird, weisen alle Vorwürfe zurück. Gegen die Emix-Inhaber Rudolphi und Steffen wird in Deutschland nicht ermittelt. Emix soll nach Berechnungen der Münchner Staatsanwaltschaft mit den deutschen Corona-Geschäften bis zu 300 Millionen Euro Profit gemacht haben. Emix weist das zurück. Es sei viel weniger gewesen, und überhaupt habe alles seine Ordnung gehabt.

Spahn lässt über seinen Sprecher ausrichten, damals hätten "Wild-West-Zustände" auf dem Masken-Markt geherrscht. Er, Spahn, und die Regierung hätten in einer "hoch-dynamischen Situation" Schutzmasken besorgen müssen. "Auf Lieferzusagen allein konnte man sich in der damaligen Lage nicht gewissenhaft verlassen, zu oft wurden diese nicht eingehalten." Soll heißen: Der 540-Millionen-Deal war auch aus Spahns Sicht völlig in Ordnung.