Als die Geschäftsführerin und Mitgesellschafterin des Teststellenbetreibers Sanicum Diagnostics im April 2021 den Vertrag mit dem Erzbistum Köln unterschreibt, öffnet Nordrhein-Westfalen gerade wieder die Schulen. Der monatelange Lockdown ist vorbei. Vorgeschrieben ist nun, dass sich Lehrkräfte und Schüler zweimal pro Woche während der Schulzeit auf das Coronavirus testen müssen.
Die Geschäftsführerin hatte sich kurz zuvor an die Schulleitung der Erzbischöflichen Liebfrauenschule in Bonn gewendet. Die Ärztin habe angeboten, dass ihre Firma helfen könne, die Schülerinnen zu testen. Sie ging einst selbst auf die katholische Mädchenschule, die sich in einer Gründerzeitvilla in der teuren Bonner Südstadt befindet.
Im Erzbistum Köln handeln die Verantwortlichen schnell, es wird ein "Pilotprojekt" ersonnen, ein "Kooperationsvertrag" aufgesetzt. Die Leiterin der Schulabteilung, Bernadette Schwarz-Boenneke, genehmigt den Vorschlag; die Rechtsabteilung des Erzbistums hat keine Einwände. Einige Zeit später eröffnet das Erzbistum Köln dem Unternehmen seiner früheren Schülerin einen noch viel größeren Markt mit potenziell 23 000 Schülerinnen und Schülern: Nachdem die Liebfrauenschule "gute Erfahrungen mit dem Testzentrum gemacht" habe, habe man das allen 33 Schulen im Erzbistum angeboten, sagte die Bistumssprecherin Christina Weyand.
"Liebe Eltern", beginnt der Brief von Sanicum. Ab sofort biete man "im nahen Umfeld der Schule Ihres Kindes ein mobiles Testzentrum" an, wo das Kind "im Rahmen der Bürgertestung" getestet werden könne. Für die Lehrkräfte sei das "eine spürbare Erleichterung", die Rückmeldungen aus der Pilotphase seien "überwältigend positiv".
Auch Schulleitungen rühren die Werbetrommel. So schreibt beispielsweise der Rektor des katholischen Kardinal-Frings-Gymnasiums in Bonn, Bernhard Hillen, an die Eltern: "Wir bitten ernsthaft und intensiv alle Schülerinnen und Schüler sich nun bei Sanicum zu registrieren und den Test durch die erfahrenen Tester des Unternehmens durchführen zu lassen."
Der Appell überrascht. Denn systematische Reihentestungen durch Bürgertestbetreiber an Schulen sind in Deutschland nicht vorgesehen, weder in Landes- noch in Bundesverordnungen. Für die Schnelltests von Schülern sind eigentlich die Schulministerien zuständig. Auch in NRW können private und staatliche Schulen auf einer eigens eingerichteten Internetseite Schnelltests bestellen, die dann auf Kosten des Landes geliefert werden. Die Behörde selbst zahlt derzeit 1,42 Euro pro Test inklusive Lieferung - Bürgertests sind dagegen etwa achtmal so teuer. Noch im Januar 2022 bekam jede Teststelle vom Bund pro Bürgertest 12,50 Euro überwiesen, derzeit sind es 11,50 Euro.
In der Begründung der Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums steht eindeutig: "Unzulässig ist es aber, wenn Bürgertestungen zum Beispiel durch mobile Teststellen gezielt in Schulen angeboten werden oder Schüler auf diese Einrichtungen verwiesen werden."
Neben dem Kardinal-Frings-Gymnasium haben Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR jedoch mehr als ein Dutzend weiterer Schulen in Bonn, Köln und Düsseldorf mit besonderer Nähe zur Firma Sanicum identifiziert. Bei den meisten davon handelt es sich um katholische Privatschulen des Erzbistums Köln. Dieses teilt auf Anfrage schriftlich mit, dass "für uns keine Bundesverordnung maßgeblich ist, sondern es sind primär die Coronaverordnungen des Landes NRW". Schülerinnen und Schüler könnten sich demnach auch in einem Testzentrum testen lassen, und diese Bescheinigungen gelten dann als "alternative Nachweise, die anstelle einer Schultestung vorgelegt werden können".
Natürlich sind Kinder Bürger, die also Anspruch auf Bürgertests haben - aber selbst das NRW-Gesundheitsministerium hat in einem Schreiben an die Kommunen Ende Februar 2022 erneut klargestellt, dass ein Bürgertest nur "im Einzelfall" die Schultestung ersetzen könne: "Ein gezieltes Einsetzen von Bürgertests für die Schultestungen durch eine Teststelle vor oder sogar in der Schule ist aber mit den geltenden Vorschriften nicht vereinbar." Die Stadt Düsseldorf hatte bereits vor einem Jahr explizit auf die geltenden Regeln hingewiesen, eine Sprecherin informiert auf Anfrage: "Mit Schreiben vom 30.03.2021 wurde die Firma Sanicum Diagnostics darauf hingewiesen, dass Schultestungen nicht als kostenlose Bürgertests abgerechnet werden dürfen."
Am Kardinal-Frings-Gymnasiums steht der Sanicum-Testcontainer auf dem Lehrerparkplatz. Auf dem Schild am Eingang steht: "Privatparkplatz. Einfahrt nur für Bedienstete des Kardinal-Frings-Gymnasiums". Auf die Tatsache angesprochen, dass Schülern an seiner Schule gezielt und systematisch Bürgertests angeboten werden, sagt Rektor Bernhard Hillen, dass er das Angebot des Erzbistums nicht hinterfragt habe.
In NRW müssen Teststellenbetreiber jeden Tag die Zahl ihrer vorgenommenen Bürgertests an ein Portal des Gesundheitsministeriums melden. Die Teststelle am Kardinal-Frings-Gymnasium meldet unter der Nummer 04222 ans Ministerium. Im Februar 2022 waren es knapp 8800 Bürgertests. Sanicum kann also allein für diese Teststelle in einem Monat mehr als 100 000 Euro abrechnen.
Der schulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, Jochen Ott, findet für die Kooperation zwischen Sanicum und dem Erzbistum deutliche Worte: "Die öffentlichen Schulen werden sich schwarzärgern, weil ja immer wieder gefordert wurde, dass Teststellen möglichst dicht an die Schulen rangebracht werden, damit wir die Lehrkräfte entlasten können", sagt der Landtagsabgeordnete, "das haben wir oft geprüft, aber es hieß immer, es sei nicht möglich. Jetzt sieht es so aus, dass scheinbar die katholische Kirche vorangegangen ist, aber zulasten der Steuerzahler." Problematisch finde er "dieses Kontrollwirrwarr bei den Behörden. Niemand ist zuständig, aber das sind wir von der NRW-Landesregierung gewohnt".
In seinen Briefen an die Eltern beschreibt sich Sanicum so: "Gegründet von einem Team aus Ärzt:innen, Pädagog:innen und Gesundheitsexpert:innen und tatkräftig unterstützt durch medizinische Fachkräfte, Virolog:innen, Datenwissenschaftler:innen und Wirtschaftsinformatiker:innen haben wir ein Testkonzept entwickelt, welches unter anderem speziell an die Bedürfnisse von Kindern und deren Umfeld angepasst ist." Fragt man bei Sanicum, wer diese Menschen sind, meldet sich ein Rechtsanwalt, der mitteilt, dass man dazu "aus Gründen des Persönlichkeitsrechts" keine Angaben machen könne und dass "das Bürgertestangebot der Sanicum Diagnostics keinesfalls die Schultestungen ersetzt".
Doch wieso schreibt der Rektor des Frings-Gymnasiums dann an die Eltern, dass sich "alle" Schüler bei Sanicum anmelden sollen? Und wieso bestellte die Schule im gesamten Schuljahr 2021/2022 nur 7000 Selbsttests für ihre etwa 850 Schüler? Wieso meldet Sanicum über Karneval, wenn in NRW schulfrei ist, an dieser Teststelle keine Bürgertests?
Auf dem Schulhof des St.-Ursula-Gymnasiums in Düsseldorf sind mit Kreide Striche aufgemalt, hier stellen sich die Schüler für die Testungen auf. Werbung für das Testzentrum wird außerhalb des Schulhofs nicht gemacht. Das Sanicum-Testzentrum auf dem Gelände der Ursulinenschule in Hersel bei Bonn befindet sich in der Schulkapelle. Auf dem Weg vorm Hintereingang auch hier: Kreidestriche.
Auch auf dem Schulgelände des Sankt-Adelheid-Gymnasiums Bonn betreibt Sanicum eine Teststelle. Auf ihrer Website informiert die Schule: "Ab dem 17. Januar 2022 unterstützt uns die Firma Sanicum Diagnostics bei der Durchführung der dreimal wöchentlich vorgeschriebenen Coronatests." Auf der Sanicum-Homepage findet sich unter der Adresse der Schule der Hinweis, dass die Teststelle nur dreimal die Woche geöffnet hat: "Montag, Mittwoch, Freitag 8.00 bis 16.30 Uhr." Die Mädchenschule schreibt: "Erst nachdem alle Schülerinnentestungen abgeschlossen sind, haben auch auswärtige Personen Zugang zum Testzentrum." Auf der Sanicum-Homepage wird in Videos erklärt, wie die Eltern ihre Schulkinder mit einem speziellen Code und der Angabe der Klasse registrieren müssen.
Für das Erzbistum handelt es sich dennoch um "keine schulische Teststelle". Die Kirche behauptet, es seien lediglich "Bürgerteststellen, die im schulnahen Umfeld" angesiedelt seien, sie könnten "sowohl von Bürgern besucht werden als auch von Schülern". Außerdem gelte: "Wenn das Gesundheitsamt genehmigt, hat der Schulträger daran nichts auszusetzen." Die Verantwortung dafür, dass die Kosten für die Steuerzahler bei den Bürgertests achtmal so hoch sind wie bei den Selbsttests, die Schüler üblicherweise in der Schule machen, weist das Erzbistum zurück. "Die Abrechnungen und alle Auflagen, die zu erfüllen sind von einer Bürgerteststelle, obliegen Sanicum", sagt Bistumssprecherin Christina Weyand.
Zuständig für die Abrechnung der Bürgertests ist die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung (KV). Als die KV Nordrhein Mitte Februar mehrere anonyme Hinweise erhalten hatte, dass die Corona-Tests in NRW bei manchen Schulen als teure Bürgertests zulasten des Bundes abgerechnet würden, hat sie am 22. Februar 2022 eine Rundmail an alle Teststellen geschickt: "Wir bitten dringend um Beachtung, dass ein gezieltes Einsetzen von Teststellen für die Schultestungen vor oder sogar in der Schule (bzw. auf Schulgrundstücken) nicht mit den geltenden Vorschriften zu vereinbaren ist." Das gelte auch bei "Beauftragung" von mobilen Teststellen durch die Schulen. Einen Tag später schickt die Stadt Bonn an alle Testzentren-Betreiber einen Brief mit gleichem Inhalt.
Mittlerweile, so teilt die KV auf Anfrage von SZ, NDR und WDR mit, nehme man bei der Firma Sanicum "eine anlassbezogene Abrechnungsprüfung" vor, diese laufe noch. Der Anwalt der Sanicum GmbH will sich auch dazu nicht äußern. Insgesamt rät er davon ab zu berichten; es gebe für den "Verdacht, unsere Mandantschaft würde sich nicht an geltende Verordnungen und Vorschriften halten, keinerlei hinreichende Beweistatsachen".
Ähnlich zugeknöpft zeigen sich auch die Gesundheitsämter in Bonn und Köln, die den Betrieb der Sanicum-Teststellen an Schulen genehmigt haben. Auf den Vorhalt, dass Eltern von mehreren Schulen "dringend gebeten" worden seien, das Testangebot von Sanicum wahrzunehmen, dass Schüler von Lehrkräften klassenweise in die Testzentren gebracht werden, antwortet Simone Winkelhog, Sprecherin der Stadt Köln, dass es an Schulen keine Reihentestungen gebe. Und dann noch das hier: "Für den Inhalt der Schreiben ist das Gesundheitsamt nicht verantwortlich."