Geimpfte werden besser gestellt als Genesene

Mehr Freiheiten für Genesene - was die Bundesregierung soeben beschlossen hat, klingt verlockend für all jene, die eine Corona-Infektion schon erfolgreich bekämpft haben. Sie sollen nun auch ohne Test zum Friseur oder in Geschäften bummeln können. Doch während diese Freiheiten für vollständig Geimpfte unbefristet gelten, kommen Genesene nur sechs Monate lang in diesen Genuss - wenn überhaupt.

Eine Reihe von Genesenen haben von der Verordnung aber erst mal gar nichts - wenn sie sich zum Beispiel  in der ersten Sars-CoV-2-Welle in Deutschland Anfang 2020 infizierten. Das ist nun mehr als ein Jahr her. Die Rücknahme mancher Beschränkungen, die Genesene sieben Monate lang nach dem letzten positiven PCR-Test haben, gelten für sie also nicht mehr. Um die Freiheiten zu genießen, müssten sie sich impfen lassen.

Manche Infizierte, die wegen fehlender Testkapazitäten am Anfang der Pandemie gar keinen PCR-Test machen konnten, müssten sich sogar mit beiden Dosen impfen lassen. "Was soll ich bei einer guten Immunantwort jetzt mit einer Impfung?", mögen sich diejenigen unter ihnen fragen, die auch sechs Monate nach der Erkrankung noch eine hohe Zahl von Antikörpern haben. Das ist nur bei einem Teil der Genesenen der Fall. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn machte auf Anfrage hingegen klar, dass jeder, der seine durchgemachte Infektion nicht nachweisen kann, eine vollständige Impfung braucht. Ein Antikörpertest sei nicht ausreichend, weil diese Tests "eine unterschiedlich gute Aussagekraft haben". Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, räumte auf Nachfrage ein, dass es "keine ganz hohe, überzeugende Evidenz" für die Sechs-Monate-Regel gebe. Dennoch reichten die Daten aus seiner Sicht, um festzustellen, "dass ein großer Teil der Menschen, die infiziert waren, sechs Monate lang einen Immunschutz hat."

Die Sechs-Monats-Regel für Genesene hält auch Ulrike Protzer für eine gute Marge: "Das ist ein Zeitpunkt, der auf Studien basiert", sagt die Leiterin der Virologie an der Technischen Universität und am Helmholtz-Zentrum München. So wurde in einer Studie der Universität Oxford mit mehr als 12.500 Mitarbeitern des Gesundheitswesens, von denen 1265 schon eine Infektion durchgemacht hatten, sechs Monate lang kontrolliert, wer sich mit Sars-CoV-2 ansteckte. Während sich von den rund 11.300 vorher nicht-infizierten Menschen 223 ansteckten, waren es unter den 1265 bereits Infizierten nur zwei - und diese beiden entwickelten keinerlei Covid-19-Symptome.

"Wir haben auch selbst eine große Studie an Klinikmitarbeitern gemacht, die in der ersten Welle dem Virus ausgesetzt waren", sagt Protzer. "Jeder Vierte hatte nach sechs Monaten seine Antikörper wieder verloren." Mit den Seren dieser Menschen sei das Virus nicht mehr zu neutralisieren, so die Virologin. "Wir wissen ja auch aus Brasilien, dass man sich durchaus wieder anstecken kann, wenn die Antikörper unter ein kritisches Niveau fällt." Vor allem bei älteren Menschen fällt die Immunantwort oft schwächer aus. Auch das RKI teilt auf Anfrage mit, dass der Schutz für Menschen über 65 Jahre nach einer Sars-CoV-2-Infektion nur noch bei etwa 50 Prozent liege.

Sogar bei Geimpften gehen Fachleute davon aus, dass der Schutz nicht lebenslang halten wird. "Auch nach Impfungen sieht man einen gewissen Abfall", sagt Hartmut Hengel, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg. Virologe Hengel hält auch nichts davon auf individuelle Antikörper-Messungen zu setzen: "Ob und wie häufig solche Genesenen mit langanhaltenden Antikörperantworten tatsächlich vorkommen, wissen wir gegenwärtig nicht", so Hengel. "Individuelle Antikörperbestimmungen vor einer Impfung sind aber organisatorisch aufwändig und relativ teuer. Daher wird versucht, universelle Impfprogramme möglichst ohne Antikörperbestimmungen zu organisieren." In jedem Fall aber handelt es sich bei den Angaben zum Immunschutz nur um Durchschnittswerte: "Sowohl die Immunantwort auf eine Infektion als auch die auf die Impfung ist individuell sehr unterschiedlich", erklärt Christine Falk, Professorin an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Es gebe Menschen, die stark reagieren, und solche, die eher wenig Immunschutz aufbauen. Auch sei die Länge der Immunantwort individuell. Nachimpfung wohl sinnvoll und ohne größeres Risiko Eine Nachimpfung von Genesenen spätestens sieben Monate nach ihrem letzten positiven PCR-Test halten Hengel, Protzer und Falk deshalb für richtig. "Wenn man solche Menschen einmal impft, haben sie in der Regel sofort wieder sehr gute Antikörperspiegel", sagt Ulrike Protzer. Gefährlich ist eine Impfung von Menschen, deren Immunsystem schon einmal in Alarm gegen das Virus gebracht versetzt wurde, nach allem, was man weiß, nicht. Schon in den Zulassungsstudien gab es zahlreiche Menschen, die sich vor der Impfung bereits  einmal mit Corona infiziert hatten. In den Biontech-Studien waren dies 1125 Personen, bei Moderna 680, bei Astra Zeneca 671 und bei Johnson & Johnson 2151. "Bei diesen Menschen sah man, dass die Antikörperspiegel nach der ersten Impfdosis deutlich anstiegen, aber nach der zweiten Impfdosis nicht mehr weiter", sagt Falk.

Mit einem Impfzertifikat soll das Reisen innerhalb der EU einheitlicher und einfacher werden.

"Nochmal Antikörper oben drauf" Impfreaktionen wie Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen traten bei den Genesenen nach der Impfung etwas häufiger auf. Aber es ergaben sich keine Hinweise, dass die Impfung für sie schädlich sei. Das gilt auch dann, wenn die Genesenen noch über eine veritable Immunantwort auf das Virus verfügen: "Man hat selbst dann etwas von der Impfung: Man bekommt deutlich nochmal Antikörper oben drauf", so Falk. Denn Genesene bilden in der Regel ohnehin eine weniger starke Antikörperantwort als Geimpfte und profitieren deshalb von einem Boost, einer Aktivierung des Immunsystems durch die Impfung. Genauere Tests möglich, aber kompliziert Theoretisch könnte man die Stärke der Immunantwort von Genesenen vor der Impfung noch genauer untersuchen als nur mit einem Antikörpertest: mit sogenannten Neutralisationstests, die zeigen, ob die vorhandenen Antikörper auch noch in der Lage sind, das Virus zu neutralisieren. In Österreich werden sie für rund 60 Euro angeboten und befreien Beschäftigte für einen bestimmten Zeitraum von einer regelmäßige Testung im Betrieb. Virologe Hengel hält das für zu kompliziert. Wegen des geringeren Aufwands sei eine Impfung, auch eine doppelte, ohne vorherige Tests "aus pragmatischen Gründen schon gerechtfertigt", sagt Hengel.