Amazon verbietet Mitarbeitern FFP2-Masken

Der Aushang im Amazon-Lager in Winsen an der Luhe war eindeutig: Bei der OP-Maske war ein grüner Haken angebracht, die FFP2-Maske dagegen war rot durchgestrichen. Im Februar teilte Amazon den Beschäftigten mit diesem Aushang mit, dass ausschließlich medizinische Einwegmasken, auch "OP-Masken" genannt, getragen werden dürften. Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" weisen darauf hin, dass sich an dieser Praxis nichts geändert hat. Dem ARD-Magazin Panorama liegt ein weiterer ähnlich lautender Aushang aus dem April vor, außerdem Aussagen betroffener Mitarbeitender. Tatsächlich verstößt diese Praxis bisher nicht gegen geltende Vorschriften oder Gesetze, da auch OP-Masken erlaubt sind.

Ivonne Hasch arbeitete bis Mitte April bei Amazon in Winsen, gut 30 Kilometer südlich von Hamburg. "Ich hätte auch lieber eine FFP2-Maske getragen, weil die mehr Schutz bietet als eine OP-Maske", sagt sie. Hasch habe ihren Vorgesetzten auf FFP2-Masken angesprochen. Dieser habe gesagt, diese seien verboten, damit den Beschäftigten keine zusätzliche Pause gewährt werden müsse. Tatsächlich sollen nach einer Empfehlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung FFP2-Masken je nach Schwere der Arbeit maximal 75 Minuten bis zwei Stunden am Stück getragen werden mit anschließender 30-minütiger maskenfreier Zeit. Bei leichter körperlicher Tätigkeit ist auch eine Verlängerung auf drei Stunden Tragedauer möglich.  Amazon will sich zu dem Verbot konkret nicht äußern. Auf Anfrage verweist der Konzern darauf, ausschließlich medizinische Masken zur Verfügung zu stellen. Amazon betont aber, dass man allen Mitarbeitern kostenlos OP-Masken zur Verfügung stelle, die "von hoher Qualität" seien. Außerdem lasse Amazon "fallweise Ausnahmen zu, wenn Mitarbeiter diese beantragen". 

Ab Montag werden FFP2-Masken in Bayern Pflicht sein: Kann diese Maßnahme die Sicherheit erhöhen?

Häufige Pausen - höhere Kosten Im Logistikzentrum Leipzig gestattet Amazon immerhin den Beschäftigten, privat mitgebrachte FFP2-Masken zu tragen. Sowohl bei diesen als auch bei den OP-Masken bietet die Geschäftsleitung den Mitarbeitern nach zwei Stunden Arbeit eine halbstündige maskenfreie Pause an - allerdings unbezahlt, wie Thomas Rigol, Betriebsratsvorsitzender am Leipziger Amazon-Standort, in Panorama berichtet. "Die Stunden werden vom Überstundenkonto abgezogen." Weil das auf Dauer zu erheblichen Minusstunden führe, würden die Mitarbeiter diese Pause kaum nutzen. Die 30-minütige unbezahlte Pause bestätigt auch Amazon. "Für die Art der Masken, die von Amazon angeboten werden, sind nach gesicherten Erkenntnissen von Arbeitsmedizinern und den Veröffentlichungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung keine zusätzlichen Pausen notwendig", so Amazon. Die Recherchen zeigen, dass auch in anderen Branchen - wie etwa dem Einzelhandel oder in der Industrie - die FFP2-Maske nur ungern großflächig eingesetzt wird. Offenbar weil die Einhaltung der maskenfreien Zeit zu höheren Kosten führen würde. Das bestätigten mehrere Gewerkschafts- und Einzelhandelsvertreter. 

Grundsätzlich haben Beschäftigte in Unternehmen keinen Anspruch auf höherwertige FFP2-Masken. Die Arbeitsschutzverordnung von Minister Hubertus Heil sieht in Betrieben unter bestimmten Voraussetzungen eine Maskenpflicht vor - zur Erfüllung dieser reichen momentan auch die OP-Masken. Maskenpflicht besteht aktuell, wenn weniger als zehn Quadratmeter pro Mitarbeiter zur Verfügung stehen, der Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten und der Raum schlecht gelüftet werden kann. Ist all dies aber nicht gegeben, kann in Büros auch ganz ohne Maske gearbeitet werden. Fragen zu diesem Thema wollte Heil aus Zeitgründen vor einer Kamera nicht beantworten. Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit, das Arbeitsministerium sehe aktuell keinen Grund für eine generelle FFP2-Pflicht am Arbeitsplatz. Die aktuellen Regeln seien gerade erst ausgeweitet worden. Amazon zählt zu Profiteuren der Pandemie Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verurteilt die Praxis von Amazon als "unvertretbar" und "unethisch". Lauterbach fordert im Interview mit Panorama eine FFP2-Pflicht in Unternehmen, wenn eine Aerosol-Übertragung wahrscheinlich sei. Auch für die Betriebe seien diese Regelungen eine viel bessere Alternative, denn vielleicht komme man irgendwann an den Punkt, "wo wir die Betriebe dann doch eine Zeit lang schließen müssen". 

Grüne und Linke fordern die zusätzliche Besteuerung von Unternehmen, die von der Corona-Krise profitieren.

Professor Klaus Dörre bezeichnet Amazons Umgang mit dem Gesundheitsschutz als skandalös. Der Arbeits- und Industriesoziologe von der Uni Jena hat sich intensiv mit dem Unternehmen und dessen Beschäftigungsmodell befasst. Dörre hält Amazon aber nur für die Spitze des Eisbergs. "Wir haben insgesamt eine große Sorglosigkeit in den Unternehmen." Faktisch sei nach der ersten Welle in produzierenden Unternehmen das Geschäft einfach weitergelaufen. Das habe zu einer Zweiklassengesellschaft unter den Beschäftigten geführt, so Dörre. "Die einen sitzen im Homeoffice und die anderen stehen unter dem Zwang, täglich präsent zu sein. Und da würde man erwarten, dass zumindest die den bestmöglichen Schutz genießen." Wie gut schützen FFP2-Masken tatsächlich? Wieviel höher die Schutzwirkung der FFP2-Masken im Vergleich zu den OP-Masken ist, ist nicht abschließend geklärt. Darauf verweist auch Professor Holger Schünemann. Der Epidemiologe an der McMaster-Universität in Kanada ist Direktor des WHO "Collaborating Centre for Infectious Diseases, Research Methods and Recommendations". Er sagt, dass FFP2-Masken womöglich doppelt so gut schützen wie OP-Masken, allerdings komme es immer darauf an, wie viele Infizierte es gerade gebe. "Wenn das Risiko ohne Maske an einem Tag in einem Unternehmen zehn Prozent ist, sich anzustecken, dann würden - nach der konservativen Annahme - OP-Masken das vielleicht auf sieben Prozent senken. Eine FFP2-Maske würde das Risiko vielleicht auf vier Prozent senken." Bei einem großen Infektionsrisiko in den Unternehmen, könnte das Tragen von FFP2-Masken also Sinn machen. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene hingegen steht den FFP2-Masken skeptisch gegenüber. Eine FFP2-Maske, die nicht richtig sitze, bei der man also an der Seite heraus atme, schütze nicht besser als eine OP-Maske. SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach überzeugt diese Position nicht. Sie entspreche nicht dem, was internationale Fachgesellschaften vortragen.