Im Juni des vergangenen Jahres ging bei der EU-Kommission ein streng vertrauliches Angebot der Pharmahersteller Pfizer und BioNTech ein. Darin boten sie nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" ihren Impfstoff zum Preis von 54,08 Euro pro Dosis an, bei einer Abnahme von 500 Millionen Dosen. Insgesamt wollten BioNTech/Pfizer also 27 Milliarden Euro für so viel Impfstoff, dass man damit gut die Hälfte der EU-Bevölkerung impfen könnte. Der Preis, so versicherten Pfizer/BioNTech, beinhalte bereits "den höchsten prozentualen Rabatt", der einem Industrieland weltweit angeboten worden sei. Mit 54,08 Euro wäre der BioNTech-Impfstoff allerdings mehr als 20-mal so teuer gewesen wie eine Dosis jenes Impfstoffs, den AstraZeneca gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt hat. "Ich halte den Preis für unseriös", kritisiert der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Wolf Dieter Ludwig, das Angebot von Pfizer/BioNTech. "Ich sehe darin ein Profitstreben, das in der jetzigen Situation der Pandemie in keiner Weise gerechtfertigt ist."
BioNTech und CureVac sollen ihre Patente aussetzen und ihren Impfstoff auch von anderen produzieren lassen.
Verständnis für Zögern der EU Womöglich werfen diese vergleichsweise hohen Preisvorstellungen auch ein neues Licht auf die Zurückhaltung mancher EU-Länder im Sommer gegenüber dem BioNTech-Impfstoff. Ludwig jedenfalls sagt, dass er die EU verstehe: "Ich denke, sie hat mit Recht gezögert bei einem derartig hohen Preis." In einem Interview mit dem "Spiegel" Anfang des Jahres kritisierte BioNTech-Chef Ugur Sahin die Verhandlungen mit der EU: "Der Prozess in Europa lief sicherlich nicht so schnell und geradlinig ab wie mit anderen Ländern", sagte der Firmenchef. "Offenbar herrschte der Eindruck: Wir kriegen genug, es wird alles nicht so schlimm, und wir haben das unter Kontrolle. Mich hat das gewundert." Eine Anfrage zu einem Gespräch über das hohe Preisangebot ließ Sahin diese Woche unbeantwortet. Eine Firmensprecherin beantwortete konkrete Fragen zum Angebot nicht, wies aber darauf hin, dass der Preis für den Impfstoff "von verschiedenen Faktoren abhängig" sei. Er liege "in einer gewissen Spanne für alle Länder mit höherem Einkommen". Bisher habe das Unternehmen jedoch keine Gewinne gemacht. Wenn man aber Gewinne aus dem Vertrieb des Covid-19-Impfstoffs mache, wolle man diese "in die Weiterentwicklung dieser Technologie reinvestieren". Ein Sprecher der EU-Kommission teilte per E-Mail mit, dass die EU-Kommission aus vertragsrechtlichen Gründen keine Angaben über die Preise machen dürfe.
Mit der Auslieferung der ersten Impfstoffdosen aus dem hessischen Werk rechnet das Pharmaunternehmen im April.
Offenbar deutlich niedrigeren Preis durchgesetzt Erst im November kam die EU zu einem Vertragsabschluss mit Pfizer/BioNTech. Der endgültige Preis wird bis heute zwar geheim gehalten, doch nach Informationen von NDR, WDR und "SZ" soll er bei 15,50 Euro pro Dosis liegen. Als erste hatte auch die Nachrichtenagentur Reuters diesen Preis erfahren. Die EU hätte damit also eine deutliche Preissenkung gegenüber dem Angebot im Juni erreicht. Auch die USA zahlen in etwa gleich viel. Sie hatten im Juli bereits einen Vertrag mit Pfizer geschlossen, der ihnen 100 Millionen Dosen für 1,95 Milliarden Dollar sicherte. Umgerechnet ergibt das rund 16 Euro pro Dosis.
Überraschend ist aber nicht nur der hohe Preis, den Pfizer/BioNTech von der EU kassieren wollten, sondern auch die Behauptung in dem Angebot an die EU, man hätte die Entwicklung des Impfstoffes "komplett selbst finanziert". Das mag vielleicht für Pfizer gelten. Nicht aber für die deutsche Firma BioNTech, die den Impfstoff entwickelt hatte - auch wenn manche derzeit glauben, dass BioNTech allein mit dem Geld der Hexal-Gründer Andreas und Thomas Strüngmann aufgebaut wurde. Tatsächlich war ihr Engagement entscheidend - aber BioNTech wurde auch mit mehreren Millionen Euro staatlich subventioniert. So teilt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf Anfrage von NDR, WDR und "SZ" mit, dass das Ministerium "die Gründungsphase von Biontech maßgeblich unterstützt und die entscheidenden ersten Jahre der Ausgründung finanziell und auch strukturell gefördert hat". Einen weiteren Schub hatte BioNTech demnach von 2012 bis 2017 als Gewinner des Spitzencluster-Wettbewerbs erhalten, das vom Forschungsministerium mit 12,9 Millionen Euro gefördert worden sei, wie BMBF-Sprecher Stephan Kügele mitteilte. Auf Nachfrage teilt auch die BioNTech-Sprecherin mit, das Unternehmen habe "während der ersten Jahre nach Gründung ca. 50 Millionen Euro Fördergelder durch die Clusterinitiative und EU-Programme erhalten." Im Sommer 2020 bekam die Firma weitere 375 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium für die mRNA-basierte Impfstoffentwicklung zugesagt.
Der Impfstoff sei auch gegen die in Großbritannien und Südafrika erstmals aufgetauchten Virusvarianten wirksam.
Impfschutz wichtiger als Aktionärsinteressen "Die pharmazeutische Industrie sagt ja immer, die hohen Kosten entstehen aufgrund der Forschungs- und Entwicklungskosten, aber auch, weil der Nutzen so groß ist", sagt Wolf Dieter Ludwig. Tatsächlich könne man den Nutzen derzeit aber nicht endgültig beurteilen und die Forschung und Entwicklung sei zum Teil mit staatlichen Geldern subventioniert worden. Allein die US-Regierung zahlte mehrere Milliarden US-Dollar an verschiedene Hersteller. "Von daher sind diese hohen Preisforderungen aus meiner Sicht nicht berechtigt", sagt Ludwig. Er verstehe zwar, dass die Aktionäre dieser Firmen auch ihren Anteil wollen. "Aber wir sind derzeit in einer Krisensituation, wo es das Ziel sein muss, nicht nur in den Industrieländern, sondern weltweit zu impfen. Vor diesem Hintergrund, denke ich, haben die Interessen der Aktionäre weniger Bedeutung als die Interessen der Bevölkerungen, die von dieser Pandemie befreit werden wollen."