Das Mathias-Spital in Rheine gehört mit knapp 600 Betten zu den großen Krankenhäusern im Landkreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen. Auch hier gab es bereits Corona-Impfungen. Am 03. Februar wurden nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) die Vorstände Dietmar Imhorst und Nicolas Kelly neben weiteren Managern geimpft, obwohl sie laut Impfverordnung nicht zur Gruppe mit der höchsten Priorität gehören. Selbst Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die "derzeit situationsabhängig im Homeoffice arbeiten", erhielten ihre Spritze. Vorstandschef Imhorst sieht darin aber kein Problem. Schließlich hätten Krankenhäuser in NRW genügend Impfdosen für 50 Prozent des Personals erhalten, und als Mitglieder des Pandemiestabs gehörten die Chefs immerhin zur Priorisierungsgruppe zwei, auch wenn sie dort erst unter Ziffer 7 auftauchen: "Personen, in besonders relevanter Position zur Aufrechterhaltung der Krankenhausinfrastruktur."
Die Debatte über Sanktionen für Menschen, die gegen die Impfreihenfolge verstoßen, nimmt an Fahrt auf.
"Pragmatische Lösung" Da alle anderen vorher die Möglichkeit gehabt hätten, sich zu impfen, hätten sich die Manager bei der eigenen Impfung auch "strikt an die Corona-Impfverordung gehalten", versichern die Klinikvorstände Imhorst und Kelly auf Anfrage. Das NRW-Gesundheitsministerium teilte mit: "Derzeit können in den Krankenhäusern nur Beschäftigte geimpft werden, die eine Impfberechtigung der höchsten Priorität besitzen". Wenn Impfstoff übrig bleibe, "sind die Verantwortlichen vor Ort gehalten, weitere, andere Anspruchsberechtigte der Priorität 1 zu impfen", teilt Ministeriumssprecher Axel Birkenkämpfer auf Anfrage mit. Wenn dann noch kleinere Mengen am Ende einer Impfaktion übrig blieben und eine Impfung von Personen mit höchster Priorität nicht möglich sei, sollten vor Ort pragmatische und niedrigschwellige Lösungen gefunden werden.
In Deutschland wurden offenbar zahlreiche Menschen geimpft, obwohl sie noch nicht an der Reihe waren.
Einen Tag nach ihrer eigenen Impfung wendeten sich die Klinikchefs Imhorst und Kelly in einem Schreiben an das Personal. Darin berichten sie, dass es auch "vereinzelt unzufriedene Mitarbeitende gibt". Auf Nachfrage räumen die Chefs ein, "Grund dieser Unzufriedenheit" der Mitarbeitenden "war wohl, dass sie (noch) nicht geimpft werden konnten". Dem Vernehmen nach handele es sich bei den Unzufriedenen um Mitarbeitende, die derzeit gar nicht in der Klinik tätig seien, schreiben die Chefs. Dass sie selbst kritisiert werden "liege in der Natur der Sache". "Im Ergebnis haben wir nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt". Bundesweit Fälle bekannt geworden Nicht nur in Rheine, bundesweit gibt es derzeit Fälle von Klinikchefs, Bürgermeistern, Landräten, Verwaltungsangestellten, Polizisten, Feuerwehrleuten und sogar einen Bischof, die bereits gegen das SarsCoV2-Virus geimpft wurden, obwohl sie noch nicht an der Reihe gewesen wären. Gemäß der Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums sollen zuerst Personen im Alter über 80 Jahre geimpft werden. Sie zählen zur Prioritätsstufe 1 und sollen dafür zugelassene Impfstoffe erhalten. Auch medizinisches Personal, das einem sehr hohen Expositionsrisiko ausgesetzt ist oder Patienten betreut, die durch eine Coronainfektion besonders gefährdet sind, fällt darunter - außerdem Betreuungspersonal und Bewohner von Pflegeeinrichtungen.
So wirft etwa der Fall der Domicil-Seniorenresidenz Fragen auf. Das private Unternehmen betreibt mehrere Dutzend Seniorenheime in der ganzen Bundesrepublik. Nach Informationen von NDR, WDR und "SZ" wurden dort inzwischen nicht nur Pflegekräfte und Bewohner geimpft, sondern auch ein Vorstandsmitglied, zwei Geschäftsführer und sogar der Leiter eines verbundenen Catering-Unternehmens. Ein Unternehmenssprecher will darin kein Problem erkennen. Alle impfwilligen Mitarbeiter und Bewohner seien bereits geimpft. Die betroffenen Mitglieder der Geschäftsleitung seien schließlich immer wieder in den Einrichtungen, um diese "in der aktuellen Corona-Pandemie bestmöglich begleiten zu können". Landrat bedauert Impfung Anfang Januar wurden im Landkreis Donau-Ries der Landrat Stefan Rößle und seine Stellvertreterin Claudia Marb (beide CSU) geimpft, obwohl sie längst nicht an der Reihe gewesen wären. "Es tut mir leid", beteuert Rößle inzwischen. "Ich würde das heute nie mehr so machen." Im Donauwörther Krankenhaus heißt es dazu, es habe eine "Ausnahmesituation" geherrscht. Der Klinik seien unangekündigt zusätzliche Impfdosen angeboten worden, schildert Direktor Alexander Wild auf Anfrage. Innerhalb von zwei Tagen hätten diese verimpft werden müssen, weil sie sonst verfallen wären. Daher sei zunächst Klinikpersonal geimpft worden, darunter Mitarbeiter, die nicht zur Gruppe mit der "höchsten Priorität" gehörten. Am Ende seien noch drei Impfdosen übrig geblieben, die nur noch eine halbe Stunde haltbar gewesen wären. Der Klinikchef habe dann den Landrat angerufen. "Impfstoff zu vernichten, ist doch das allerletzte, was wir wollen", sagt Rößle. Man habe sich nicht der Kritik aussetzen wollen, den wertvollen Impfstoff entsorgen zu müssen. Ein Argument, das in diesen Tagen aus vielen Bundesländern zu hören war. Kein einheitliches System Da die Vakzine nur gekühlt lange haltbar sind, müssen die einmal aufgezogenen, vorbereiteten Dosen beim BioNTech-Impfstoff innerhalb von sechs Stunden verimpft werden. In den Impfzentren und Krankenhäusern bleiben jedoch immer wieder Dosen übrig, weil Menschen Termine nicht wahrnehmen können oder kurzfristig doch nicht wollen.
Die Opposition kritisiert die von Gesundheitsminister Spahn vorgelegte Verordnung zur Impfreihenfolge.
Für diese Fälle werden häufig "Nachrückerlisten" angelegt. Wer dort gelistet ist, dafür gibt es deutschlandweit kein einheitliches System. Mancherorts sind Polizisten aufgeführt, niedergelassene Ärzte jedoch nicht. Genaue Regelungen, wer die übrigen Impfdosen bekommt, gab es bislang nicht. Eine Umfrage unter den Gesundheitsministerien aller sechzehn Bundesländer, die NDR, WDR und "SZ" durchgeführt hat, zeigt, dass bislang bundesweit tatsächlich nur wenig Impfstoff verworfen wurde. Eine Ausnahme allerdings stellt Bayern dar, wo bis Anfang Februar rund 1700 Impfdosen ungenutzt blieben, 1000 davon allein wegen einer Kühlketten-Panne im Dezember. In Mecklenburg-Vorpommern waren es 340, in Rheinland-Pfalz 650 und in Sachsen 285, also lediglich rund 0,3 Prozent der verabreichten Impfdosen. Spahn prüft Sanktionen Die meisten Landesgesundheitsministerien gaben an, gar keine oder nur vereinzelt Impfdosen wegwerfen zu müssen - auch, weil die Reste kurzfristig für nicht angemeldete Personen verwendet worden seien. Dabei habe es sich größtenteils um Menschen aus der höchstpriorisierten Gruppe gehandelt.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verlangt indes, dass nachweisliche Vordrängler bestraft werden sollen. "Immer wieder werden Fälle bekannt, dass sich Menschen unberechtigt impfen lassen", sagte Vorstand Eugen Brysch. Es sei "unverständlich, dass Jens Spahn bis heute keine Sanktionen für unberechtigte Impfungen in seiner Verordnung vorsieht". Immerhin gehe es bei der Impfverordnung um eine gerechte Zuteilung des begehrten Impfstoffes. Gesundheitsminister Spahn erklärte in der Bundespressekonferenz, dass bei übrigen Impfdosen "fast alles besser ist als Wegwerfen". Gleichzeitig kündigte er an zu prüfen, "ob Sanktionen in dem Bereich Sinn machen können". Diese Diskussion sei angesichts der jetzt bekannt gewordenen Vorfälle "natürlich schon nachvollziehbar".