Kaum Erkenntnisse aus Deutschland

Anfang des Jahres schauten viele Pharmakonzerne in ihren Schubladen, ob eines ihrer Medikamente vielleicht auch gegen die neue Corona-Erkrankung helfen könnten. So schickte der Bayer-Konzern sein Malariamittel Hydroxychloroquin ins Rennen, die Firma Gilead testete ihren Ebolawirkstoff Remdesivir, andere versuchten es mit HIV-Präparaten.

Auch deutsche Universitäten beteiligten sich an diesen Untersuchungen, ließen sich von Pharmafirmen für Studien bezahlen und testeten an ein paar Dutzend Corona-Patienten die alten Mittel. Heraus kam: nichts. "Alle solche Studien, die weniger als 200 Patienten einschließen, sind eigentlich für die Katz", sagt Frank Brunkhorst, der an der Universität Jena das Zentrum für klinische Studien leitet. "In einer Pandemie braucht man große Studien mit mehreren Tausend Patienten, an denen man Medikament testen kann." Nur solche Studien schafften so robuste Erkenntnisse, dass sie in Leitlinien zur Behandlung von Covid-19-Patienten einfließen könnten.

Im März trat Forschungsministerin Anja Karliczek vor die Presse und verkündete, dass ihr Ministerium 150 Millionen Euro für ein aufzubauendes "Netzwerk Universitätsmedizin" zur Verfügung stellen will. Alle Unikliniken sollten Daten über ihre Covid-19-Patienten liefern. Mit diesen Daten könne man dann "schnell, qualitätsgesichert und schlagkräftig agieren", um unter anderem neue Therapien zu entwickeln.

Fragt man das Ministerium heute, wie viel der in Aussicht gestellten 150 Millionen Euro denn von deutschen Universitäten für die Covid-19-Forschung bereits abgerufen worden seien, erhält man zur Antwort: "Der Stand der derzeit verausgabten Mittel kann nicht exakt abgebildet werden."

Nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) ist das Geld bisher vor allem in Strukturen gesteckt worden, so sei zum Beispiel eine Forschungsdatenplattform eingerichtet worden. "Zunächst standen vor allem strukturierende Arbeiten im Vordergrund, während die wissenschaftlichen Teilprojekte jetzt gestartet sind", teilt das Ministerium schriftlich mit. Mittlerweile seien aber "in die Kohortenstudie die ersten Patient/innen eingeschlossen worden". Auch zu internationalen Projekten wie der "Solidarity"-Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben deutsche Kliniken, anders als geplant, nichts beigetragen.

Gerd Antes galerieMedizinstatistiker Antes kritisiert die Versäumnisse.

Für den Freiburger Medizinstatistiker Gerd Antes ist diese Art von Forschungspolitik ein Ärgernis. "Ich verstehe nicht, dass wir neun Monate nach Beginn der Pandemie nicht mal die einfachsten Dinge geklärt haben - obwohl unser biologisches und ökonomisches Leben davon abhängt." Die Strukturen, die in Deutschland offenbar mühsam aufgebaut werden, während die Pandemie womöglich schon ihrem Ende entgegengeht, seien in Großbritannien historisch gewachsen, sagt Antes. "Da wäre es das Naheliegende gewesen, wenigstens Patienten in die gut funktionierenden Studienverbünde anderswo einzubringen."

Wie solche koordinierte Forschung funktionieren kann, hat Großbritannien im Frühsommer gezeigt. Das dortige staatliche Gesundheitswesen NHS hatte eine Studie namens "Recovery" gestartet, an der mehr als 11.000 Corona-Patienten aus 175 britischen Krankenhäusern teilnahmen und verschiedene Medikamente bekamen.

Schon wenige Monate nach dem Start ihrer Studie konnten die Briten zeigen, dass Hydroxychloroquin, das US-Präsident Donald Trump zuvor intensiv beworben hatte, eher schadet als nützt. Und im Juli folgten Daten, dass der Entzündungshemmer Dexamethason die Sterblichkeit bei Covid19 deutlich reduziert - ein echter Durchbruch für die Behandlung von Patienten weltweit.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) organisierte bereits im Frühjahr weltweit große Studien unter dem Namen "Solidarity". An den Studien nahmen mehr als 12.000 Corona-Patienten teil. Gemeinsam zeigten die beteiligten Wissenschaftler, dass neben Hydroxychloroquin auch Remdesivir und Interferon "kaum etwas oder gar nichts dazu beitragen, den Tod durch Covid-19 zu verhindern oder den Krankenhausaufenthalt zu verkürzen", wie WHO Generalsekretär Tedros Ghebreyesus im Oktober erklärte Auch das waren wichtige Erkenntnisse, weil bis dahin weltweit Corona-Patienten mit den Mitteln behandelt wurden und Remdesivir zuvor in den USA sogar eine Notfallzulassung erhalten hatte.

Auf Anfrage teilt die WHO mit, dass an der Solidarity-Studie 30 Länder beteiligt waren, darunter Staaten wie Österreich, Ägypten, Frankreich, Spanien, Honduras, Irland, Iran, die Schweiz und Südafrika. Deutschland aber ist nicht dabei. Keine einzige Klinik hat hierzulande einen Patienten oder eine Patientin für die WHO-Studie zur Verfügung gestellt.

Frank Brunkhorst aus Jena sieht gar eine moralische Verpflichtung, dass sich Deutschland in Pandemiezeiten an Forschung beteiligen muss, die schnell zu einer besseren Behandlung von Patienten führt: "Wir müssen solche Studien auch durchführen für solche Länder, die das nicht leisten können. Da sind wir in Europa doch auch in der Verantwortung für Südamerika, asiatische oder arabische Länder, wo es solche Strukturen nicht gibt." Brunkhorst selbst ist immerhin Teil eines weltweiten Forschungsverbundes namens Remap-Cap, an dem nach seinen Worten derzeit schon 22 Krankenhäuser in Deutschland teilnehmen. 22 von 2000 Kliniken, die es hierzulande gibt.

Das Forschungsministerium selbst teilt mit, dass es "aufmerksam die Aktivitäten und Ergebnisse internationaler Studien" verfolge und für den Solidarity-Trial immerhin 1,7 Millionen Euro "bereitstelle". Die Koordination liege aber beim Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und dem Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DLZ).

Zuständig in beiden Einrichtungen ist der Medizinprofessor Tobias Welte aus Hannover. Er verweist auf bürokratische Hemmnisse, die es deutschen Unis schwermachten, an Studien wie "Solidarity" teilzunehmen. Die Studienkriterien seien dabei "entsprechend dem aktuellen Stand des Wissens andauernd verändert" worden.

Jede einzelne Änderung müsse in Deutschland aber erst von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genehmigt werden. Aufgrund der Änderungen musste aber "das Genehmigungsverfahren mehrfach neu gestartet werden", teilt Welte mit. Die Verzögerung sei "bedauerlich", sie sei jedoch den strengen Vorschriften geschuldet.