Zweitinfektionen: "Das Virus wird endemisch"

Anfang dieser Woche machte der erste Fall einer nachgewiesenen Zweit-Infektion mit dem Coronavirus Schlagzeilen. Ein 33 Jahre alter Mann aus Hongkong war Mitte August von einer Reise nach Spanien zurückgekehrt und am Flughafen Hongkong positiv auf das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 getestet worden. Das Überraschende war, dass dieser Mann sich im März bereits schonmal mit dem Corona-Virus infiziert hatte. Einen wissenschaftlichen Aufsatz darüber haben die Forscher aus Hongkong bisher nicht veröffentlicht, so dass viele Details zu dem Fall fehlen.

Für Ralf Bartenschlager, den Präsidenten der deutschen Gesellschaft für Virologie und Leiter der Abteilung für Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg, ist eine erneute Infektion mit dem neuartigen Coronavirus aber nicht überraschend. Schließlich kenne man es bereits von den saisonalen Coronaviren, dass sich Patienten immer wieder infizieren und keine dauerhafte Immunität besitzen, sagt er.

Im Mai diesen Jahres haben Forscher der Universität Amsterdam vorab eine Studie veröffentlicht, für die sie zehn Menschen bis zu dreißig Jahre lang immer wieder auf saisonale Corona-Viren untersucht hatten. Zu Beginn der Studie waren die Teilnehmer zwischen 27 und 40 Jahre alt. Alle von ihnen hatten sich während der langen Studiendauer mehrfach mit einem der vier saisonalen Erkältungs-Coronaviren infiziert, und zwar auch mehrfach mit dem gleichen Virus beziehungsweise leichten Varianten davon. Im Schnitt hatte jeder der Teilnehmer sich in dem langen Zeitraum 13-mal mit einem Coronavirus infiziert, einer davon nur dreimal, ein anderer dafür 22-mal.

"Die saisonalen Coronaviren sind stabil in der Bevölkerung", sagt Bartenschlager. 15 Prozent aller Erkältungskrankheiten werden jeden Winter durch sie verursacht und man wisse, dass sie nur eine schwache Immunantwort auslösen. Das heißt, dass die Antikörper bereits nach wenigen Monaten wieder abnehmen. Erneute Infektionen mit saisonalen Coronaviren seien vollkommen üblich.

Auch beim Sars-CoV-2-Virus beobachten Forscher, dass die Antikörper nach wenigen Monaten schon wieder sinken. Erst diese Woche hat das Robert Koch-Institut eine lokale Antikörper-Studie aus Bad Feilnbach vorgestellt. Bei 40 Prozent der Menschen, die im Frühjahr einen positiven Corona-Test hatten, konnten demnach bereits keine Antikörper mehr nachgewiesen werden.

Dennoch gehen Wissenschaftler davon aus, dass der Körper nach einer Sars-CoV-2-Infektion bei einem erneuten Kontakt mit dem Virus rasch reagiert. Denn für einen Schutz seien nicht nur die Antikörper, sondern auch T-Zellen zuständig, die auch lange nach einer Infektion wachsam sind und das Virus bekämpfen.

"Ich persönlich glaube, dass das neue Virus endemisch wird", sagt Virologe Bartenschlager im Interview mit tagesschau.de. "Das wird in der Bevölkerung bleiben." Das müsse nicht eine bedrohliche Nachricht sein, so der Virologe. Denn auch wenn der Körper nicht vor einer erneuten Infektion geschützt sei, bilde er dennoch rasch eine Immunantwort, die stark genug sein könnte, "um das Virus relativ früh zu kontrollieren, so dass die Wahrscheinlichkeit für schwere Symptome deutlich geringer ist".

So scheint es auch bei dem 33-jährigen Mann auch Hongkong zu sein. Schließlich fiel seine Infektion im Rahmen eines Reiserückkehrer-Tests auf. Symptome hatte der Mann nicht. Nach Angaben von Wissenschaftlern der Universität Hongkong, die den Fall mit einer Pressemitteilung veröffentlicht hatten, wich das Virus beim zweiten Mal in 24 Teilen von dem Virus ab, mit dem er sich ursprünglich im März in infiziert hatte. Das heißt, dass das mutierte Virus sich zwar erneut im Körper ausbreiten konnte, aber nicht zu einer Erkrankung führte, weil die Immunantwort ausreichte, um es in Schach zu halten. "Die Veränderungen war in den Bereichen, die wohl für die Immunantwort wichtig sind", sagt Bartenschlager.

Inzwischen wurden im Lauf der Woche weitere Reinfektionen gemeldet: von einer Frau in Belgien, die sich ebenfalls bereits im März schon einmal infiziert hatte und von einem Mann aus den Niederlanden.

Viele Wissenschaftler sind, was die Bewertung des Falls aus Hongkong angeht, zurückhaltend. So zitiert das Wissenschaftsmagazin "Science" die Virologin Angela Rasmussen von der Columbia University in den USA, die nicht glaubt, dass der Fall große Bedeutung hat für die Frage nach Impfstoffen und Immunität. Der Mann aus Hongkong sei vielleicht nur ein Beispiel für Leute mit einer schlechten Immunantwort auf die Erstinfektion, sagt Rasmussen.

Auch die WHO hält sich mit einer Bewertung zurück. Die WHO-Wissenschaftlerin Maria Van Kerkhove sagte auf einer Pressekonferenz, man müsse erst einmal prüfen, wie verallgemeinerbar diese Beobachtung sei. Unklar ist zum Beispiel auch, ob man bei einer erneuten Infektion so viel Viren produziert, um andere anstecken zu können - und was die Möglichkeit einer Reinfektion für die Impfstoff-Produktion bedeutet.

Virologe Bartenschlager geht davon aus, dass die derzeit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe keinen vollständigen Schutz vor einer Infektion bieten, aber für einen leichten Verlauf sorgen können. "Ich persönlich halte Krankheitsschutz für realistischer als Infektionsschutz", sagt Bartenschlager. "Infektionsschutz ist natürlich der Idealfall, weil man dann das Virus global kontrollieren kann." Realistischer sei aber, dass "eine Impfung die Krankheit kontrolliert und die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe reduziert".

Auch der ChAdOx-Impfstoff der Firma AstraZeneca in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford, der derzeit in der letzten Phase der klinischen Prüfung ist, hatte in Affenversuchen gezeigt, dass er nicht vor einer Infektion schützt, aber vor der krankmachenden Wirkung des Virus.