Nach dem Virus kommt die Müdigkeit

Jeden Tag veröffentlicht das Robert Koch-Institut auf seiner Website die Zahl der "Genesenen", also derjenigen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden und 14 Tage später immer noch nicht im Krankenhaus liegen oder verstorben sind. Doch viele dieser offiziell Genesenen fühlen sich alles andere als "genesen".

Manche leiden weiter unter Atemnot, andere an Kopfschmerzen, anhaltender Müdigkeit, Geschmacksstörungen oder Herzrasen. So wie Maren Jonseck-Ohrt, 59, eine Geologin aus Hamburg, die sich im März beim Skifahren in der Scwweiz mit dem Coronavirus infiziert hatte und seitdem nicht wieder richtig gesund wurde. 

Anfangs wurde Corona vor allem als Lungenkrankheit beschrieben. Erst als Pathologen damit begannen, Corona-Tote zu obduzieren, konnten sie durch mikroskopische Untersuchungen zeigen, dass nicht nur die Lunge geschädigt war, sondern viele weitere Organe angegriffen waren. In medizinischen Fachzeitschriften berichteten Forscher von schwerwiegenden Gefäßentzündungen und einer überschießenden Immunreaktion bei vielen Betroffenen.

Derzeit häufen sich die Berichte über Patienten, die sich nach der akuten Phase, also nachdem ihr Körper die Viren besiegt hat, mit Spätschäden herumplagen. Wie viele "Genesene" davon tatsächlich betroffen sind, ist derzeit noch unklar. Bei ihren Hausärzten werden die Betroffenen damit aber oft nicht richtig ernst genommen. "Im allgemeinen Medizinbetrieb werden sie eher als Spinner abgetan", sagt Professor Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Die MHH habe deshalb eine spezielle "Post-Covid-Ambulanz" eingerichtet, bei der sich bereits mehrere hundert Patientinnen und Patienten aus ganz Deutschland gemeldet hätten. Professor Welte schätzt, dass "ein bis drei Prozent" aller Corona-Infizierten sich mit solchen Langzeitfolgen herumplagen. Auf ganz Deutschland hochgerechnet seien das mehrere tausend Betroffene.

Wenn Welte und andere Ärzte an der MHH diese Patientinnen und Patienten untersuchen, stellen sie auch sechs Wochen nach Abklingen der Infektion häufig noch Veränderungen an der Lunge fest. Im Computertomographen (CT) seien diese Veränderungen als "milchglasartige Trübungen" sichtbar, sagt Welte. Die Betroffenen leiden häufig unter Luftnot oder Kurzatmigkeit. Wenn die Ärzte sie allerdings weitere sechs Wochen später erneut untersuchen, habe sich der Zustand bei vielen schon wieder etwas gebessert, sagt Welte. "Es geht zwar langsam, aber es verändert sich in der Regel zum Besseren."

Neben den Problemen mit der Lunge gebe es eine zweite Gruppe von Hauptbeschwerden, die meist anhaltende Müdigkeit kennzeichnet, in der Fachsprache "Fatigue" genannt. "Das ist ein bunter Strauß von Beschwerden", sagt Welte. Die Betroffenen schildern vor allem eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Geruchs- und Geschmacksstörungen und Ermattung der Arm- und Beinmuskeln. Welte berichtet von drei Patientinnen, die regelmäßig versehentlich das Essen versalzen. "Das Empfinden für Saures und Salziges ist stark gestört, für Süßes dagegen praktisch nie", sagt der Professor.

Welte berichtet außerdem von zwei jungen Patientinnen, beide zuvor im Olympiakader, die jetzt so schwach seien, dass sie nicht mehr zu Fuß in den zweiten Stock hochkommen. "Was der Auslöser dieses Mattigkeitssyndroms ist, ist nicht ganz klar", sagt Welte, aber es scheine, als ob das Immunsystem der Betroffenen nachhaltig in Unordnung sei. "Die muskuläre Leistung geht einfach unglaublich runter."

Während Welte aufgrund der Erfahrungen in der Post-Covid-Ambulanz davon ausgeht, dass nur ein bis drei Prozent Corona-Infizierten mit Spätfolgen konfrontiert sind, kommen mehrere Studien aus Großbritannien oder Italien mittlerweile auf höhere Zahlen. Allerdings haben sie meist Patienten beobachtet, die vorher im Krankenhaus waren, also einen schweren Krankheitsverlauf hatten.

So erschien Mitte August eine Auswertung von 110 Patientinnen und Patienten des Southmead Hospitals in Bristol. Zwei bis drei Monate nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus klagten demnach 74 Prozent noch immer über Beschwerden, am häufigsten über Atemnot und extreme Müdigkeit.

Forscher aus Italien wiederum berichteten im Juli in der US-Ärztezeitschrift "Jama", dass 44 Prozent der von ihnen befragten Corona-Patienten zwei Monate nach der Erkrankung noch immer unter einer Verschlechterung ihrer Lebensqualität litten. 53 Prozent von ihnen klagen demnach über Fatigue, 43 Prozent über Atemnot und 27 Prozent über Gelenkschmerzen. Nur knapp 13 Prozent der untersuchten Patienten, die im Krankenhaus behandelt wurden, hatten nach zwei Monaten keine Symptome mehr.

In derselben Zeitschrift erschien eine Untersuchung der Universitätsklinik Frankfurt am Main, dass auch zwei bis drei Monate nach der Corona-Erkrankung bei 60 Prozent ihrer Patientinnen und Patienten im Kernspin Hinweise auf eine Entzündung des Herzmuskels zu finden gewesen seien. Ob diese Veränderungen auch eine klinische Relevanz haben, muss sich erst noch zeigen. Allerdings waren bei dieser Studie die Mehrzahl der Infizierten nur mild bis moderat erkrankt, dennoch klagten anschließend mehr als ein Drittel der "Genesenen" auch hier über Kurzatmigkeit und Erschöpfung.  

Schon früh fiel Mediziner Welte in Hannover übrigens auf, dass es nicht nur die Patienten von der Intensivstation waren, die über Langzeitfolgen klagten, sondern auch jüngere Patienten ohne Vorerkrankungen, bei denen die akute Krankheitsphase mild oder moderat verlief. "Das ist das, was ich jungen Leute immer versuche, klarzumachen: Für die Langzeitfolgen spielt das Alter gar keine Rolle." Welte vermutet, dass da "noch eine Welle an Post-Covid-Patienten auf uns zu kommt". Selbst wenn sich ihr Zustand langsam verbessert, seien viele doch ein halbes Jahr und länger arbeitsunfähig. "Diese Risiken bedenken viele Jüngere nicht, wenn sie glauben, ihnen können das Coronavirus nichts anhaben."

Auch die Hamburgerin Maren Jonseck-Ohrt, die sich in den Skiferien im März infizierte und noch heute Probleme mit der Atmung und dem Geschmackssinn hat, sagt: "Wenn ich sehe, wie sorglos manche Leute jetzt damit umgehen dann möchte ich immer am liebsten sagen: Denkt dran, es kann auch ganz anders ausgehen, und ihr wisst nicht, wie es euch geht, wenn ihr diese Krankheit habt."