FFP2-Masken: Mangel in Kliniken trotz voller Lager

Dass Canay Yildirimer einmal auf eine Überweisung in Höhe von 16 Millionen Euro brutto von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warten würde, hätte er sich vor Beginn der Corona-Pandemie sicher nicht vorstellen können. Doch seit einer Woche ist dies nun gerade seine neue Realität.

Der Unternehmer aus Eschborn sitzt jeden Tag vor seinem Rechner, prüft stündlich seinen Kontostand. Zwischendurch ruft er die Hotline des Bundesministeriums an. "Wir hängen in der Luft und auch immer mal wieder, um die Nerven zu beruhigen, in genau dieser Warteschleife", sagt Yildirimer. Doch das Geld lässt weiterhin auf sich warten.

Yildirimer exportiert normalerweise europäische Luxusartikel nach Südkorea, Designertaschen etwa. Doch sein Geschäft kam mit der Krise zum Erliegen. Eine Ausschreibung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) Ende März kam da gerade recht: Mit einem sogenannten Open-House-Verfahren hatte Minister Spahn dazu aufgerufen, medizinische Schutzausrüstung zu liefern, die zum Schutz vor einer Covid-19 Infektion in Krankenhäusern, Arztpraxen und Altenheimen so dringend gebraucht wurde.

Um den eklatanten Mangel zu beheben, hatte das BMG ein Modell gewählt, bei dem der Kunde allen Lieferanten garantiert, ein Produkt zu einem festgelegten Preis liefern zu dürfen. Der Kunde war in diesem Fall das Gesundheitsministerium, das Produkt waren Atemschutzmasken und der Preis war hoch. Für eine FFP2-Maske garantierte das Gesundheitsministerium zum Beispiel einen Abnahmepreis von 4,50 Euro. Eine Ausschreibung, an der sich jedes geeignete Unternehmen beteiligen konnte.

Für den Unternehmer Yildirimer zunächst "ein Glücksgeschäft": "Das war genau das, was wir in der Krise gebraucht haben: In relativ kurzer Zeit planbar, belastbar und zuverlässig Geld zu verdienen", sagt er. Er reichte ein Angebot über drei Millionen Atemschutzmasken ein, erhielt den Zuschlag und machte sich auf die Suche nach Investoren. Das war nicht schwierig, sagt er. Für seine Geschäftspartner war der Deal mit dem Bund "ein ganz sicheres Ding". Doch heute sagt er, er hätte es nie für möglich gehalten, dass der Bund das alles so "dilettantisch" umsetzt.

Wie Yildirimer gingen Hunderte Unternehmer mit mehr oder weniger guten Verbindungen zu Zwischenhändlern oder Produzenten in China oder Nachbarländern auf die Bedingungen des BMG ein. Das Ministerium erteilte nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) 738 Zuschläge, 308 Unternehmen lieferten ihre Ware bis Anfang Mai an.

Für Minister Spahn war damit der Mangel offenbar behoben. "Der Hof ist voll", hatte er vergangene Woche in einem Interview gesagt. Was er allerdings verschwieg: Dass der Hof auch voll bleibt. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ lagern derzeit in den Lagern der vom Gesundheitsministerium beauftragten Logistikunternehmen allein mehr als 130 Millionen medizinische FFP2-Masken. Das ist mehr als der Jahresverbrauch aller Arztpraxen in Deutschland.

Trotz der gefüllten Lager herrscht in Klinken und Arztpraxen aber weiterhin Mangel. "Wir hätten gerne, dass die Kliniken auch voll sind", sagt Susanne Johna von der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Laut einer Studie, die der Marburger Bund kürzlich durchgeführt hat, verfügen 38 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland immer noch nicht über ausreichend Schutzkleidung.

In einigen Kliniken würde das Einmalmaterial während der gesamten Schicht verwendet, zum Teil mehrere Tage hintereinander, sagt Johna. "Das ist ein Zeichen dafür, dass noch nicht genug Material vor Ort ist", sagt sie. "Wenn es wirklich auf den Höfen lagert, irgendwo, dann bitte ausliefern an die Kliniken, an die Praxen, an die Altenheime, damit dann das medizinische Personal diese Schutzkleidung auch nutzen kann."

Das Gesundheitsministerium räumt auf Anfrage von NDR, WDR und SZ "logistische Probleme" bei der Auslieferung der Masken ein. In den vergangenen beiden Wochen seien im Rahmen des "Open-House-Verfahrens" eine Vielzahl von Lieferungen in den Logistiklagern gleichzeitig eingetroffen, sodass es nun zu Verzögerungen in der Auslieferung käme.

Die Prüfung der Ware sei außerdem sehr aufwendig. Der TÜV Nord prüfe die Masken - die "durchschnittliche Prüfdauer" betrage zwei Tage, so das Ministerium. Etwa 20 Prozent der gelieferten Schutzmasken entspräche nicht den hohen Normanforderungen. "Mangelhafte Produkte werden nicht abgenommen und nicht bezahlt", so ein Sprecher des Bundesministeriums auf Anfrage. Erst zehn Prozent der Lieferanten seien bezahlt worden.

Der Unternehmer Yildirimer sagt, er habe Qualitätsware geliefert. In einem der Lager liegen auch seine drei Millionen Schutzmasken, die er besorgt hat, als alles ganz dringend schien. Die Masken sind laut Unterlagen am 4. Mai von der Spedition im Auftrag des BMGs abgeholt worden. Seitdem wartet Yildirimer auf sein Geld. Die Investoren drängen, bei denen er mit mehr als zehn Millionen Euro in der Schuld steht.

Lediglich eine allgemeine Rundmail, dass es zu Verzögerungen bei der Prüfung und der Auszahlung kommt, habe er vom BMG bekommen, so Yildirimer. Nun telefoniert er jeden Tag mit den Beratern der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young), die das BMG beauftragt hatte. Sie sollen für ordentliche Abläufe sorgen. Doch am Telefon können sie ihm keine Auskunft geben, wegen des Datenschutzes, heißt es.