Zwei Drittel der Gesundheitsämter haben zu wenig Personal

Am Anfang mussten selbst Feuerwehrleute aushelfen. Als die mit Corona infizierten Skifahrer aus Ischgl in den Ostalbkreis in Baden-Württemberg zurückkehrten, reichten die Kapazitäten des örtlichen Gesundheitsamtes nicht aus, um alle Kontaktpersonen anzurufen und ihnen zu sagen, dass sie 14 Tage lang in Quarantäne müssen. Bis nach Mitternacht telefonierten damals von Landrat herbeigerufene Feuerwehrleute den Skifahrern hinterher.

Ende März einigten sich die Chefs der Staatskanzleien mit dem Kanzleramt in einer Telefonkonferenz darauf, dass solche Situationen künftig vermieden werden sollen durch eine einheitliche Regelung: In jedem Landkreis in Deutschland sollte eine "sehr kurzfristige Verstärkung" der Gesundheitsämter erfolgen und pro 20.000 Einwohnern ein Team aus fünf Leuten die Nachverfolgung von Kontaktpersonen der Kategorie 1 übernehmen.

Zu dieser Kategorie gehören all jene, die einen mindestens 15 Minuten dauernden Gesichtskontakt zu einem Infizierten hatten. Denn Virologen raten dringend, dass nur mit konsequenter Nachverfolgung dieser sogenannten engen Kontaktpersonen die Ausbreitung der Epidemie wieder in den Griff zu bekommen ist.

Aber sind die knapp 400 Gesundheitsämter in Deutschland dazu überhaupt in der Lage? Ein Team von NDR- und WDR-Journalisten hat dazu alle Gesundheitsämter der Republik abgefragt - und knapp die Hälfte (46 Prozent) hatten schriftlich geantwortet. Das Ergebnis: Nur 24 Prozent von ihnen erfüllen die Voraussetzungen, auf die sich Bund und Länder geeinigt hatten. 67 Prozent haben dagegen gemessen an den Bund-Länder-Vorgaben nicht genügend Mitarbeiter, um die Verfolgung enger Kontaktpersonen gewährleisten zu können. Der Rest hat dazu keine Angaben gemacht.

Ein weiteres, interessantes Ergebnis ist, wie selten die Gesundheitsämter diese engen Kontaktpersonen auf das Coronavirus testen lassen. Systematisch geschieht dies derzeit nur in Baden-Württemberg, und auch dort nur in elf von 25 Landkreisen, die geantwortet hatten. Bundesweit hatten von den 178 Landkreisen, die sich an der Umfrage beteiligten, nur 21 geantwortet, dass sie auch enge Kontaktpersonen ohne Symptome testen lassen.

Bisher ist dies nicht vorgegeben, doch nun empfiehlt das Gesundheitsministerium, das Vorgehen zu ändern. Auf Anfrage von NDR und WDR sagte der Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, es sei "erklärte Strategie, die gezielte Testung auszuweiten". Dazu gehöre auch das Testen von Kontaktpersonen der Kategorie 1, die keine Symptome haben.

Auch der Vizechef des Robert Koch-Instituts (RKI), Lars Schaade, erklärte diese Woche, dass es sinnvoll sei, alle diese engen Kontaktpersonen zu testen, zumal die Kapazitäten dafür ausreichten. So wurden zuletzt 382.000 Sars-CoV2-Tests in Deutschland pro Woche durchgeführt. Möglich seien in Deutschland aber mehr als eine Million Tests pro Woche, wie das RKI mitteilt.

Ungeklärt ist jedoch, wer diese Tests bezahlen soll, denn die Krankenkassen finanzieren diese Laboruntersuchung nur bei Patienten mit Symptomen. In Baden-Württemberg hat die Landesregierung zugesagt, entsprechende Kosten zu übernehmen - als einziges Bundesland in Deutschland. Das Gesundheitsamt im Rheinisch-Bergischen Kreis sagt: Es wäre wünschenswert, wenn in der Frage der Bezahlung "eine allgemeine Klärung herbeigeführt würde".

25 Gesundheitsämter (14 Prozent) haben geantwortet, dass sie derzeit überlastet seien und deshalb ihren Aufgaben nicht vollständig nachkommen können. 38 weitere Ämter schrieben, dass sie "an der Grenze der Überlastung" oder sehr stark belastet seien. Am häufigsten gaben dabei Gesundheitsämter in Thüringen an, überlastet zu sein, obwohl Thüringen zu den Bundesländern mit der geringsten Zahl von Corona-Infizierten zählt.

Im Landkreis Dahme-Spreewald teilte das Gesundheitsamt mit, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "nach 14 Wochen durchgehender Belastung, täglich ändernden Vorgaben des RKIs und des Landes Brandenburg überfordert und erschöpft" seien.

Sehr unterschiedlich handhaben die Ämter den Kontakt zu den Personen, die sie in Quarantäne schicken. Manche rufen jeden Tag bei den Betroffenen an, in anderen Ländern sollen sie sich selbst per E-Mail melden, wenn sie etwa Fieber bekommen. Heinsberg in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat ein eigenes Online-Portal eingerichtet, über das sich die Kontaktpersonen registrieren sollen. Das habe die Ermittlungen deutlich erleichtert.

Das Amt in Ratzeburg teilte mir: Bei nur wenigen Fällen in Quarantäne könne täglich Kontakt aufgenommen werden, "bei entsprechend mehr Fällen wird das nicht mehr möglich sein und in längeren Intervallen angerufen". In Mettmann hat das Gesundheitsamt die Erfahrung gemacht, dass ein täglicher Kontrollanruf als "belästigend" empfunden wird.

Von den Gesundheitsämtern in Bayern hat kein einziges die Fragen beantwortet. Dort hatte die Landesregierung schon bei einer früheren Umfrage von NDR und WDR die Gesundheitsämter aufgefordert, nicht auf Presseanfragen zu antworten. "Da diese Umfragen nicht mit uns abgestimmt sind, bitten wir Sie, von einer Beantwortung Abstand zu nehmen", heißt es in einem Schreiben aus dem bayerischen Gesundheitsministerium an die Gesundheitsämter, das NDR und WDR vorliegt.

Nach Redaktionsschluss für diesen Artikel antwortete auch das bayerische Gesundheitsministerium. Es teilte mit, dass in den 76 Gesundheitsämtern des Landes bereits 476 fünfköpfige Team zur Kontaktverfolgung existieren. Damit liegt Bayern allerdings um mehr als 150 Teams unter den Erfordernissen, die jedoch "im Endausbau bereitstehen" sollen. Gleichwohl teilt das Ministerium mit, dass derzeit "keine Meldungen über abzusehende oder bestehende Kapazitätsengpässe" vorliegen.

Neben den örtlichen Gesundheitsämtern haben NDR und WDR auch die Lage in den Bundesländern recherchiert. Demnach befassen sich in Bremen laut dem Gesundheitssenat mehr als 150 Personen mit der Nachverfolgung von Kontakten. Damit ist dort die Vorgabe bereits erfüllt. Aber es sollen noch "weiter aufgestockt" werden.

In Thüringen sind derzeit zwei Landkreise sehr stark von Neuinfektionen betroffen: Greiz und Sonneberg. Das Landesgesundheitsministerium räumte auf Anfrage ein, "noch unter der Zielvorgabe" zu liegen, was die Personalausstattung angeht. Aus Rheinland-Pfalz heißt es, dort stünden derzeit rund 530 Stellen für die Kontaktnachverfolgung zur Verfügung. Bei Bedarf könnten noch etwa 1100 "Infektionsschutzhelferinnen und -helfer" hinzugezogen werden.

Aus der Antwort des Gesundheitsministeriums in Sachsen-Anhalt geht hervor, dass dort nur zwei der 14 Landkreise die Zielvorgabe der Bund-Länder-Vereinbarung zu den Kontaktverfolgungsteams erfüllen. Aber die Gesundheitsämter hätten in den regelmäßigen Telefonschaltkonferenzen mitgeteilt, dass derzeit alle Kontakte nachverfolgt werden könnten, so das Ministerium.

Für Baden-Württemberg besteht laut dem Gesundheitsministerium ein Bedarf von insgesamt 555 Teams, also 2775 Personen. Anfang März seien umgerechnet 461 Vollzeit-Mitarbeiter im Einsatz, mittlerweile 2375. Das Land sehe sich somit "sehr gut aufgestellt".

Laut dem Gesundheitsministerium in Sachsen stehen insgesamt 940 Arbeitskräfte für die Kontaktpersonennachverfolgung zur Verfügung. Acht der 13 Gesundheitsämter würden die Vorgaben noch nicht erfüllen, aber drei von ihnen seien "nahe des Ziels". Einen konkreten Termin, bis wann die Teams aufgebaut sein sollen, gibt es laut dem sächsischen Ministerium nicht.

In Hamburg seien nach Angaben der Gesundheitsbehörde alle Gesundheitsämter derzeit in der Lage, die Kontaktverfolgung der Covid-19-Erkrankten zu bewältigen. Insgesamt würden dafür 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt. Es sei möglich, tagesaktuell und bedarfsorientiert nachzusteuern.