Nur zwei Medikamente machen Hoffnung

Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland (vfa) listet auf seiner Internetseite mehr als 30 Wirkstoffe auf, die gegen die neue Lungenkrankheit Covid-19 helfen könnten. Wissenschaftler haben weltweit knapp 70 Medikamente ausgemacht, die derzeit ins Rennen geschickt werden gegen das Coronavirus. Darunter sind Malaria-Medikamente, gescheiterte Ebola-Präparate, Mittel gegen Aids oder Rheuma. Weil manche von ihnen bereits gegen andere Krankheiten zugelassen sind, könnten sie schneller verfügbar sein als ein Impfstoff, der neu entwickelt werden muss.

Das Bundesgesundheitsministerium bat die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft um eine Einschätzung, welche Medikamente am aussichtsreichsten sind. Der Vorsitzende der Kommission, Wolf-Dieter Ludwig, hält auf Anfrage von NDR und WDR aber derzeit nur zwei Wirkstoffe für hoffnungsvoll: einerseits den Wirkstoff Remdesivir, der einst gegen Ebola entwickelt wurde und jetzt auch in zwei großen Studien an Corona-Patienten in Deutschland getestet werden soll.

Und andererseits Chloroquin, beziehungsweise Hydroxychloroquin, "ein sehr gut bekanntes Malaria-Medikament, das wahrscheinlich auch eine antivirale Wirksamkeit hat und deshalb die Aktivität von SARS-CoV-2-Viren hemmen kann", so Ludwig. "Diese beiden Wirkstoffe stehen in unserem Bericht an das Gesundheitsministerium eindeutig an erster und zweiter Stelle."

Doch ob diese Wirkstoffe tatsächlich helfen, sei derzeit reine Spekulation. Es gebe zwar mehrere Fallberichte und ein paar klinische Studien zur ihrer Wirksamkeit, aber die seien von so geringer Aussagekraft, dass man sich darauf nicht verlassen könne. So wurde zum Beispiel der erste schwerkranke Coronapatient in den USA, ein 35 Jahre alter Mann, mit Remdesivir behandelt und danach besserte sich sein Zustand. "Aber möglicherweise war das auch nur der normale Verlauf der Krankheit", sagt Ludwig.

Ähnlich schlecht sei die Datenlage bisher bei den Medikamenten Chloroquin und Hydroxychloroquin. Zu Hydroxychloroquin habe es zwar zuletzt "eine vieldiskutierte klinische Studie aus Südfrankreich" gegeben, aber die sei sowohl vom Design her als auch von der Zahl der Patienten "nicht aussagekräftig", so Ludwig. Auch der Berliner Virologe Christian Drosten sagt: "So wie diese Studie gemacht wurde, sind wir kein Stück schlauer."

Die Weltgesundheitsorganisation WHO kritisierte in der vergangenen Woche die mangelnde Qualität der bisherigen Studien zu Covid-19-Medikamenten. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus beklagte: "Viele kleine Studien mit unterschiedlicher Methodologie bringen uns nicht die klaren und strengen Beweise, die wir brauchen für Behandlungen, die Leben retten."

Die WHO kündigte deshalb an, jetzt gemeinsam mit den Ländern Argentinien, Bahrain, Kanada, Frankreich, Iran, Norwegen, Südafrika, Spanien, der Schweiz und Thailand selbst eine große mehrarmige Studie unter dem Namen "Solidarity" aufzulegen. "Diese Studie konzentriert sich auf die zentralen Fragen für die Öffentlichkeit", erläuterte WHO-Wissenschaftlerin Ana Maria Henao-Restrepo. "Kann irgendeines dieser Medikamente die Sterblichkeit verringern? Hilft irgendeines dieser Medikamente, die Zeit im Krankenhaus zu verringern oder die Häufigkeit, mit der Patienten beatmet werden müssen?"

Die WHO will dazu in der Solidarity-Studie, die höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll, genau die Wirkstoffe testen, die auch Wolf-Dieter Ludwig für aussichtsreich hält: Remdesivir und Chloroquin beziehungsweise Hydroxychloroquin, außerdem das Aids-Medikament Lopinavir in Kombination mit Ritonavir. Doch kaum hatte die WHO ihre "Solidarity"-Studie bekannt gegebenen, erschien in der angesehenen Medizinzeitschrift "New England Journal of Medicine" ein Artikel von Forschern aus China. Sie berichteten, dass die beiden Aids-Medikamente in den Studien bei Corona-Patienten weder einen Überlebensvorteil zeigten, noch die Genesung beschleunigten.

Sollte sich einer der Wirkstoffe als hilfreich erweisen, hält Ludwig eine beschleunigte Zulassung auch in Europa noch in diesem Jahr für möglich. "Angesichts der Bedrohung, die derzeit gerade Patienten mit schweren Lungenentzündungen erfahren, werden auch die Zulassungsbehörden in diesem Fall sehr schnell reagieren."

Remdesivir setzen derzeit bereits einige Kliniken in Deutschland bei schwerkranken Corona-Patienten ein. Dazu gehört auch die Uniklinik Düsseldorf, wie sie NDR und WDR bestätigte. Welche Erfahrungen die Klinik mit diesen "individuellen Heilversuchen" gemacht hat, ob das Mittel dem Patienten geholfen hat oder nicht, will die Uniklinik nicht verraten.

Arzneimittel-Experte Ludwig hält es aber für "absolut erforderlich", dass Kliniken die Krankheitsverläufe nicht nur sorgfältig dokumentieren, sondern auch schnell über ihre Erfahrungen berichten. "Ich wünsche mir auch, dass wir jetzt sehr schnell ein Register einführen, in denen wir alle Corona-Patienten mit bedrohlicher Lungeninfektion dokumentieren, um daraus für die Behandlung kommender Patienten zu lernen."

Neben den Studien mit Medikamenten hat weltweit auch die Entwicklung von Impfstoffen begonnen. Einige wenige Firmen sind sogar schon dabei, einen Impfstoff an Menschen zu erproben. Dazu gehört die US-Firma Moderna, die dem weltweit ersten Menschen einen Corona-Impfstoff gab. Einen Tag später berichtete die chinesische Firma CanSinoBio, dass sie ebenfalls die Erlaubnis bekommen habe, mit ihren Impfstoff-Tests zu beginnen. Die Firmen US-Inovio und BioNTech kündigten für April erste klinische Studien mit Freiwilligen an. Die deutsche Firma CureVac, die vor Kurzem Berühmtheit erlangte hatte, weil US-Präsident Donald Trump sich angeblich ihren Impfstoff sichern wollte, will im "Frühsommer" mit Studien an Menschen beginnen.

CureVac, Moderna, BioNTech oder Inovio gehen bei der Impfstoffentwicklung einen neuen Weg, indem sie ausgewählte Gene des Coronavirus benutzen, die dann nach einer Injektion den Aufbau des Immunschutzes bewirken sollen. Noch hat es weltweit keinen Impfstoff mit dieser Methode zur Marktreife geschafft - auch nicht gegen andere Erreger. Aber sollte eine Entwicklung gelingen, hätte sie den Vorteil, dass ein so produzierter Impfstoff sehr viel schneller in großen Mengen hergestellt werden kann.

Einen alten Impfstoff wollen jetzt auch Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie gegen das Coronavirus testen lassen. Ihr Tuberkulose-Impfstoff VPM1002 mache zwar nicht immun gegen das Coronavirus, könne das Immunsystem aber gegen eine Virusinfektion aktivieren, sagt Stefan H.E. Kaufmann, Pandemieforscher und Infektionsbiologe. Dadurch verringere sich die Gefahr schwerer Krankheitsverläufe und die Todesrate sinke.

Kaufmann hat den Impfstoff vor Jahren am Max-Planck-Institut mitentwickelt, inzwischen wurde die Lizenz an den indischen Impfstoffhersteller Serum Institute of India verkauft. VPM1002 soll in Deutschland jetzt in einer großen Phase-3-Studie an älteren Menschen und Beschäftigten im Gesundheitswesen getestet werden, wie die Max-Planck-Gesellschaft mitteilte. Beantragt habe man die Studie beim Paul-Ehrlich-Institut aber noch nicht, wie Kaufmann einräumt. "Das werden die klinischen Teams aber in den nächsten Tagen machen."

Vom Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland für Impfstoffe zuständig ist, hieß es, dass man derzeit zwar Firmen wie BioNTech oder CureVac in der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Corona-Virus berate. Studien an Menschen wurden in Deutschland aber "bisher nicht beantragt oder genehmigt", wie die Behörde NDR und WDR schrieb. "Weitere derzeit in den Medien im Umlauf befindliche Informationen zu klinischen Prüfungen von Impfstoffkandidaten in Deutschland kann das Paul-Ehrlich-Institut aktuell nicht bestätigen."