Erstmals hat das noch nicht zugelassene Arzneimittel Remdesivir in einer hochwertigen Studie gezeigt, dass Corona-Patienten von dem Mittel profitieren können. Anthony Fauci, der Corona-Berater von US-Präsident Donald Trump, sagte gestern, Remdesivir habe eine "signifikante positive Wirkung bei der Verringerung der Zeit bis zur Genesung".
Er bezog sich dabei auf erste Ergebnisse einer aktuellen Studie des nationalen US- Gesundheitsinstituts mit 1063 Corona-Patienten, die in 68 Kliniken behandelt wurden. Dabei handelt es sich um eine von weltweit drei hochwertigen placebo-kontrollierten Studien zu Remdesivir.
In der Studie bekam eine Hälfte der Patienten Remdesivir, die andere Hälfte erhielt ein wirkungsloses Scheinmedikament. In einem ersten Vergleich dieser beiden Gruppen konnten jene Patienten, die Remdesivir bekamen, das Krankenhaus nach 11 Tagen verlassen, die Gruppe, die nur ein Placebo erhielt, erst nach 15 Tagen. Das gab das National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), das die Studie verantwortet, am Mittwoch in einer Pressemitteilung bekannt.
Für Wolf-Dieter Ludwig, den Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, ist es "erfreulich", dass es nun erstmals Daten zu Remdesivir aus seriösen Studien gibt. "Das ist derzeit der härteste Beleg für die Wirksamkeit eines Medikaments gegen Covid 19", sagt Ludwig auf Anfrage von NDR und WDR. Allerdings warnte er auch vor übertriebenen Hoffnungen. "Dass Herr Fauci ganz begeistert ist, überzeugt mich noch nicht."
Schließlich sei das Kriterium, nach wie viel Tagen Patienten aus dem Krankenhaus entlassen werden, ein "weicher Endpunkt", also ein Kriterium, in das auch subjektive Beurteilungen einfließen können. Ein härteres Kriterium wäre zum Beispiel, wie viele Patienten mit Remdesivir überleben und wie viele ohne Remdesivir.
Auch dazu macht das NIAID Angaben: Demnach habe die Sterblichkeit in der Remdesivir-Gruppe bei acht Prozent gelegen, in der Placebo-Gruppe dagegen bei 11,6 Prozent. Doch der Unterschied ist so gering, dass er auch zufällig sein kann und deshalb statistisch nicht signifikant ist.
Ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte die Herstellerfirma von Remdesivir, der US-Pharmakonzern Gilead, die Ergebnisse einer hauseigenen Studie, die untersuchte, ob es einen Unterschied gibt, wenn Corona-Patienten fünf Tage lang Remdesivir bekommen oder zehn Tage. Demnach scheint die längere Einnahme des Medikaments keinen Vorteil zu bringen: Nach zwei Wochen waren in der Gruppe, die nur fünf Tage lang das Medikament einnahm, zu 60 Prozent aus dem Krankenhaus entlassen, in der Gruppe, die das Medikament zehn Tage lang einnahm, aber erst 54 Prozent.
Zugelassen ist Remdesivir, das ursprünglich als Mittel gegen Ebola entwickelt wurde, bisher noch in keinem Land der Welt. Laut einem Bericht der "New York Times" könnte die US-amerikanische Behörde FDA jedoch schon recht schnell eine Notfall-Zulassung erteilen.
Experten aus Kliniken warnen aber auch vor zu großen Hoffnungen. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der Münchener Klinik Schwabing, sagte, Remdesivir zeige "zwar einen Trend für ein besseres Überleben", aber es sterbe dennoch laut der Studie jeder zwölfte Patient an dieser Erkrankung.
Hier seien die Gründe in der vollständigen Auswertung genau zu betrachten. Insgesamt beurteilte er die vorläufigen Ergebnisse jedoch positiv. An einer raschen Zulassung der Substanz bestehe deshalb aus seiner Sicht wenig Zweifel.
Auch Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Uniklinik Köln, sagte, es wurde jetzt "zum ersten Mal die Wirksamkeit einer Substanz gegen Covid-19 in einer nach höchsten Standards durchgeführten Studie nachgewiesen". Es sei deshalb mit einer raschen Zulassung von Remdesivir zu rechnen. Dennoch blieben Fragen bis zur Veröffentlichung des Endergebnisses der Studie offen. Fätkenheuer führt selbst eine Studie zu dem Mittel durch.
Zweifel an der Wirksamkeit des Remdesivirs haben dagegen Wissenschaftler aus Peking. Sie hatten - ebenfalls gestern - Ergebnisse einer dort durchgeführten Studie im Fachblatt "Lancet" veröffentlicht. Darin konnten sie keinen klinischen Nutzen feststellen.
Allerdings mussten die Forscher die Studie vorzeitig abbrechen, weil sie weniger Teilnehmer als ursprünglich geplant finden konnten, da es in China nicht mehr so viele Corona-Patienten gab, die noch behandelt werden mussten.
Ludwig von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft beobachtet "die derzeitige Berg- und Talfahrt von Remdesivir" mit gemischten Gefühlen. Es sei eben ein rasantes Rennen, wer den ersten Wirkstoff liefere, der gegen Covid-19 helfen könne. Und jedes Teilergebnis aus einer Studie habe unmittelbare Auswirkungen auf den Aktienkurs den Unternehmens.
Für Gilead jedenfalls waren die Nachrichten aus den USA gestern besonders wertvoll: Der Aktienkurs des US-Pharmaunternehmens legte gleich um zehn Prozent zu.